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Agent 6

Titel: Agent 6 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tom Rob Smith
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konzentrierte sich stattdessen auf seine Nachforschungen. Allerdings nahm er sich immer die Zeit, um Zabi zu ihrer Psychologin zu begleiten. Er war überrascht, dass ihr Behandlungszimmer nicht in einem Krankenhaus lag, sondern in einem hübsch eingerichteten Zimmer in ihrem Haus. Nach dem dritten oder vierten Termin wurde er weniger besorgt, was die Behandlung anging. Zabi hatte keine Angst vor den Sitzungen. Die Kosten für die Behandlung übernahm natürlich die amerikanische Regierung. Sie übernahm all ihre Ausgaben. Im Gegenzug traf sich Leo mit Nachrichtenoffizieren, die er mit Informationen über Afghanistan versorgte. Sein Wissen über die Sowjetunion selbst war veraltet, vor allem hinsichtlich des KGB und der Geheimpolizei. Diese Informationen waren vor allem für Historiker und Akademiker interessant, die ihn nach einer Sicherheitsüberprüfung befragen durften. Nur seine Berichte über Afghanistan wurden als vertraulich eingestuft. Es war schwer abzuschätzen, inwieweit sie die amerikanische Politik beeinflussten – man vertraute ihm nicht genug, um ihm Informationen zu geben, er wurde nur befragt. Manche Fragen verrieten, wie sie dachten. Ein Teil der CIA wollte offensichtlich den Widerstand in Afghanistan finanzieren und Waffen liefern. Ob das tatsächlich geschah, konnte Leo nicht sagen.
    Nach dem Abendessen räumte Leo die Teller weg und kehrte mit einer Packung Eis an den Tisch zurück. Das Eis hatte er in einem Lebensmittelladen gekauft, der von einer Frau aus der Ukraine geführt wurde, einer der wenigen Menschen im Viertel, mit denen er sich unterhielt; in New York lebte er ebenso ungesellig wie in Kabul. Während er das Eis in drei Schüsseln löffelte, sagte er:
    – Ich fliege morgen nach Washington. Erinnert ihr euch noch an die Arbeit, von der ich erzählt habe? Es gibt da ein Archiv mit Gegenständen über sowjetische Spionage in Amerika. Ich soll mir das mal ansehen, vielleicht kann ich zu ein paar Sachen etwas sagen.
    Nara war überrascht.
    – Ich dachte, das steht erst in ein paar Monaten an.
    – Sie wollen, dass ich sofort fahre.
    – Warum?
    Der Grund war einfach: Sie glaubten nicht, dass Leo noch lange in Amerika bleiben würde. Aber das behielt Leo für sich, er zuckte nur mit den Schultern.
    – Keine Ahnung.
    Matt fügte er hinzu:
    – Ich mache, was man mir sagt.
    Zabi fragte:
    – Lässt du uns allein?
    Leo konnte ihr nicht in die Augen sehen. Er spielte mit einem Löffel voll Eis.
    – Ich bin nur ein paar Tage weg.

Washington, D. C.
FBI-Hauptquartier
J. Edgar Hoover Building
935 Pennsylvania Avenue
Am nächsten Tag
    Leo sollte mehrere Tage in Washington verbringen, je nachdem, wie gut die Arbeit voranging. Nachdem er sich mit der Tatsache abgefunden hatte, dass sich seine Zeit in Amerika plötzlich extrem verkürzt hatte, wollte er so schnell wie möglich nach New York zurückkehren – bei der Aufklärung des Mordfalls stand er mit einem Mal unter enormem Zeitdruck. Wahrscheinlich blieben ihm nur Wochen, keine Monate, bis die Sowjetunion weitere Schritte gegen seine Töchter unternahm. Wenn man Soja und Elena verhaftete, würde er es sicher nicht mehr in New York aushalten und wahrscheinlich noch am selben Tag Vorbereitungen für seine Rückkehr treffen. Was als harmlose Reise zum Archiv geplant war, hatte sich jetzt zu einer kostspieligen Ablenkung entwickelt.
    Ein freundlicher Mann namens Simon Clarke hatte ihn am Flughafen in Empfang genommen und sich als Archivar vorgestellt. Er war in den Fünfzigern, erinnerte mit seiner runden, goldgerahmten Brille an eine Eule und besaß einen rundlichen Bauch, der sich wie ein sanfter Hügel vorwölbte. Er sprach fließend Russisch, mit perfekter Grammatik, aber einem amerikanischen Akzent, und Leo vermutete, dass er bisher mit sehr wenigen gebürtigen Russen gesprochen hatte. Der nette, freundliche Clarke hoffte, dass Leo viele der Entdeckungen erklären konnte, die schon Staub angesetzt hatten, allerhand Geheimnisse über die sowjetischen Spionageprogramme gegen den Hauptfeind, die Amerika nicht aufdecken konnte. Clarke hatte den Jargon der sowjetischen Agenten – der Hauptfeind  – benutzt, um zu zeigen, dass er mit ihrer Geheimsprache vertraut war.
    Während einer kurzen Fahrt durch die Stadt, bevor es zum Archiv ging, hielten sie vor dem FBI -Hauptquartier an. Es lag in einem modernen Betonbau, ganz anders als die Lubjanka, der Hauptsitz der russischen Geheimpolizei mit seiner prunkvollen historischen Fassade

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