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Agent 6

Titel: Agent 6 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tom Rob Smith
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einem großen Schraubglas heraus und stellte es neben die Kasse.
    – Ich mache eine Sammlung. Nicht für die Beerdigung – jetzt ist nicht die Zeit für Blumen, und Jesse hätte sie sowieso nicht gewollt. Ich werde jemanden anheuern, der herausfindet, wer Jesse und Anna wirklich umgebracht hat. Wir brauchen Anwälte. Privatdetektive. Ich weiß nicht, wie es euch ergeht. Aber ich muss es wissen. Ich muss einfach.
    Er zog seine Brieftasche hervor und leerte sie in das Glas.
    Am Ende des Vormittags war das Glas voll, die Kellnerinnen gaben ihre Trinkgelder, die Gäste spendeten mehr Geld, als sie für ihr Essen zahlten. Als Nelson die Münzen und Scheine zählte und die Summe in ein Kassenbuch eintrug, hörte er eines von Jesses Liedern. Er verließ sein Büro und fand seine Gäste und Kellnerinnen vor dem Fenster stehen. Sie blickten auf die Straße, woher die Musik kam. Nelson durchquerte das Restaurant, öffnete die Tür und trat hinaus. Ein junger Mann namens William, dessen Eltern Nelson gut kannte, stand auf einer Kiste und sang ein Lied von Jesse. Er hatte weder Noten noch Text in der Hand. Er kannte die Worte auswendig.
    Auf der Straße blieben Menschen stehen, versammelten sich um die Kiste, wurden zu einem Publikum. Männer hielten ihre Hüte in der Hand. Kinder unterbrachen ihre Spiele, hörten zu und starrten hinauf zu dem jungen Mann.
    Ich bin nur ein Sänger
Das ist genug für mich
Nur ein Sänger, der träumt
Von Freiheit für mich und dich.
    Als Nelson das Publikum betrachtete, wusste er, dass er mit ein bisschen Anstrengung Tausende anziehen konnte – er konnte selbst zu den Menschen reden, er hatte viel zu sagen, vielleicht nicht mit Jesses Stimme, aber er würde seine eigene finden. Nelson erinnerte sich daran, was Jesse immer auf die Frage geantwortet hatte, warum er so viel riskierte, und verstand endlich. Ein Restaurant zu führen, selbst ein erfolgreiches Restaurant, war einfach nicht genug.

Eine
Woche
später

UdSSR
29 Kilometer nordwestlich von Moskau
Flughafen Scheremetjewo
4. August 1965
    Frol Panin sah den dichten Regen auf die leere Landebahn prasseln. Die Hitzewelle war vorbei, finstere, bedrohliche Wolken hatten den blauen Himmel und die brennend heiße Sonne vertrieben. Die Erde neben der Landebahn war in der wochenlangen trockenen Hitze aufgebrochen, das Gras hatte sich gelblich verfärbt und war so trocken, dass der starke Regen abfloss, als wäre er auf Beton gefallen. Wegen der verschlechterten Wetterbedingungen erwog die Flugsicherung, den ankommenden Flug umzuleiten. Aber das war übervorsichtig, und Panin hatte sich dagegen ausgesprochen. Man hatte an diesem Flughafen umfangreiche Vorbereitungen für die Passagiere getroffen. Wenn kein Notfall eintrat, würden sie hier landen.
    Die heimkehrenden Schüler konnten nicht wissen, welche Wellen der Mord an Jesse Austin geschlagen hatte, sowohl in der Sowjetunion als auch im Ausland. Überall wurde groß darüber berichtet. Zu Hause hatte man weniger hysterisch und deutlich zurückhaltender auf den Vorfall reagiert: Die Prawda zog die offizielle Version der Ereignisse in Zweifel, ohne sie direkt als falsch hinzustellen. Die jungen Männer und Frauen würden auf jeden Fall klare Worte und Hilfe benötigen, um den Schock der letzten Tage zu verarbeiten. Auf dem Flughafen wimmelte es deshalb nur so von KGB -Agenten, Psychologen und Propagandaoffizieren. Nach der fröhlichen Abschiedszeremonie in den Vereinigten Staaten würde es bei ihrer Rückkehr keine Feier geben, keine Musikkapelle, keine bunten Bänder, keinen Alkohol, und nur ganz wenige Reporter würden darüber berichten dürfen. Familien und Freunden war es trotz ihrer Bitten nicht gestattet zu kommen. Der ganze Flughafen war abgeriegelt.
    Mit seinen einundsechzig Jahren besaß Frol Panin imponierend silberweißes Haar, wie ein adretter Magier. Er war körperlich fit, und die Linien, die sein Gesicht durchzogen, glichen weniger Falten als vielmehr Kerben, geschnitzt von den vielen großen Triumphen seiner Karriere. Die jüngste Kerbe hatte er sich verdient, als er mit dem Ersten Sekretär Breschnew eng zusammenarbeitete, um den alternden und zunehmend unberechenbaren Chruschtschow aus dem Amt zu heben. Am Ende hatten sie einen stillen Sieg errungen, weil Chruschtschow ohne Kampf ging, deprimiert über seine Degradierung. Der Sohn einer Bauernfamilie hatte nicht sein Leben verloren, sondern sich klugerweise auf das Land zurückgezogen; ein passendes Ende, da er dort auch

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