Agent der Sterne
hoffe, dass sie bereit ist, dir ihre Erinnerungen anzuvertrauen.«
»Jetzt verstehe ich«, sagte Michelle.
Meine Großmutter sah mich verwirrt an.
»Großmutter«, sagte ich. »Nein, ich bin nicht verrückt geworden. Ich weiß, dass du nicht sprechen kannst. Es ist schwer zu erklären, aber Michelle ist in der Lage, sich mit dir zu verständigen, ohne zu sprechen. Mir ist klar, dass deine Erinnerungen schmerzhaft sind und du sie aus gutem Grund nie anderen anvertraut hast. Aber Michelle würde gern an deinen Erinnerungen teilhaben, wenn du dazu bereit bist. Das wird ihr helfen, vieles zu verstehen – unser Leben, unsere Geschichte. Ich wäre dir sehr dankbar, wenn du ihr deine Erinnerungen anvertrauen würdest.«
Michelle ging in die Knie und nahm noch einmal die Hand meiner Großmutter. »Sehen Sie, was ich tue?«, sagte Michelle und blickte auf ihre Hände. »Mehr muss ich gar nicht tun. Wir bleiben einfach nur ein Weilchen so sitzen. Sie müssen nicht einmal an diese Geschichten denken, wenn Sie es nicht möchten, Sarah. Wir müssen nur eine Zeit lang beieinandersitzen.«
Meine Großmutter sah Michelle und dann mich an. Sie lächelte, entzog ihre Hand behutsam meinem Griff und tippte sich mit dem Zeigefinger an die Schläfe.
Ich lachte. »Ja, ich weiß. Das klingt ziemlich verrückt. Wahrscheinlich wird man uns bald abholen und einliefern. Aber bis dahin wäre es schön, wenn du uns helfen würdest.«
Diesmal sah meine Großmutter mich und dann Michelle an. Sie tätschelte Michelles Hand. Dann tippte sie mir leicht auf die Schulter und zeigte auf die Tür. Ich sah sie verdutzt an.
»Das heißt vermutlich, dass sie bereit ist, es zu tun, dass sie dich aber nicht dabeihaben will«, sagte Michelle. »Vielleicht gibt es einen Grund, warum sie deiner Mutter oder dir nie von diesen Dingen erzählt hat. Sie möchte nicht das Risiko eingehen, dass du es hörst.«
Großmutter nickte nachdrücklich und tätschelte wieder Michelles Hand.
»Also raus mit dir«, sagte Michelle.
Zögernd stand ich auf. »Wie lange wirst du brauchen?«, fragte ich Michelle.
»Eine Stunde, vielleicht zwei. Du könntest dafür sorgen, dass wir nicht gestört werden. Diese Sache würde ich gerne in einer Sitzung hinter mich bringen.«
»Ich werde tun, was ich kann.«
»Danke, Tom.« Michelle blickte kurz zu mir auf und sah dann wieder meine Großmutter an. »Jetzt halt die Klappe. Sarah und ich wollen uns in Ruhe unterhalten.«
Zweimal kam eine Schwester und wollte nach dem Rechten sehen. Zweimal schickte ich sie weg. Darauf ließ sie sich nur ein, weil ich sie damit bestechen konnte, ihr ein Autogramm von Michelle zu besorgen. Zur Sicherheit ließ die Schwester ihr Klemmbrett und einen Stift da. Ich hoffte, dass die Blätter keine vertraulichen Informationen über die anderen Bewohner des Altersheims enthielten.
Drei Stunden waren vergangen, als Michelle die Tür öffnete und das Zimmer meiner Großmutter verließ. Geistesabwesend berührte sie meinen Arm und lehnte sich dann gegen die Korridorwand. Sie wirkte sehr erschöpft.
»Hier«, sagte ich und gab ihr das Klemmbrett. »Ich musste der Schwester ein Autogramm von dir versprechen, damit sie wieder verschwindet.«
Michelle nahm das Klemmbrett und starrte es an, als wäre es ein exotisches Tier.
»Michelle«, sagte ich. »Alles in Ordnung?«
»Es geht schon«, sagte sie, nahm den Stift vom Klemmbrett und kritzelte ihren Namen auf das Blatt Papier. »Ich bin nur verdammt müde.«
»Wie geht es Großmutter?«
»Sie ist im Rollstuhl eingenickt«, sagte Michelle und gab mir das Klemmbrett zurück. »Du solltest der Schwester sagen, dass sie sie zu Bett bringen sollte.«
»Das werde ich tun. Hast du bekommen, was du brauchst?«
Zum ersten Mal sah Michelle mich wieder direkt an. Ihre Augen waren erstaunlich. Es waren die Augen von jemandem, der durch die Glut der Hölle gewandert und wieder zurückgekehrt war, aber nicht unversehrt, nicht ohne Wunden.
»Deine Großmutter ist eine bemerkenswerte Frau, Tom«, sagte sie. »Vergiss das nie. Mach es dir immer wieder klar.«
Danach schwieg sie. An diesem Tag sprachen wir kein einziges Wort mehr miteinander.
»Was zum Teufel macht sie hier?«, sagte Avika Spiegelman. Natürlich meinte sie Michelle.
Roland hatte meinen Rat angenommen und Avika nicht vorgewarnt, sondern sie damit geködert, dass er eine interessante Schauspielerin gefunden hätte, der er die Rolle zutraute. Die vernichtenden Blicke, mit denen sie Roland jetzt
Weitere Kostenlose Bücher