Agnes Bernauer - Hexe Hure Herzogin
mittlerweile hatte ohnmächtig werden lassen?! „Jetzt sind die Ritter auch uns gegenüber im Vorteil!“, raunzte der Dunkelhaarige. „Wir brauchen mindestens eine Stunde, bis wir den Markt erreichen!“ Dann schrie er nach dem leichten Harnisch, dem Helm und dem Schwert; zitternd wich die Bernauerin in eine Fensternische zurück. Wenig später sah sie den Wittelsbacher an der Spitze eines ersten Eingreiftrupps vom Schlosshof jagen, während das Gros der Gewappneten erst eine ganze Weile nachher in die Sättel kam. Er riskiert Kopf und Kragen!, dachte sie in ihrer Panik. Er wird fallen, wird nie wieder zurückkommen zu mir und dem Kind! Und dann würgte das Schluchzen sie, dazu fast so etwas wie Wut auf ihn: Wie konnte er nur so leichtsinnig sein, noch nicht einmal den Aufbruch des ganzen Verbandes abzuwarten, sondern sich mit kaum zwei Dutzend Leichtbewaffneten ins Unglück zu stürzen?!
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Es kann mein Tod sein!, dachte Albrecht, während er den Rappen mit der flachen Klinge peitschte und ihm das Äußerste abverlangte. Aber ich nehme es nicht kampflos hin, dass die Hinterwäldler mir Bogen entreißen! Die eine Wurzel meines Geschlechtes stammt von dort 69 ; wenn der Ort verloren geht, verzeiht der Alte in München mir die Schande nie! Dann kommt’s unabdingbar zum Bruch zwischen ihm und mir; dann kann ich auch Agnes und das Kind nicht mehr schützen! Ich muss es schaffen, muss alles auf eine Karte setzen; es ist die einzige Chance, die mir noch bleibt!
Wieder und wieder hieb er mit dem Eisen zu, das Ross grohnte und schäumte zum Gotterbarmen, und dann sah der Wittelsbacher endlich die niedrigen Mauern des Marktfleckens vor sich auftauchen – und erkannte gleichzeitig, dass an die hundertfünfzig Böckler bereits durch die Tore eindrangen. Der Ort war damit praktisch schon gefallen; die Aufständischen waren noch nicht einmal auf Widerstand gestoßen, ganz wie der Kurier es befürchtet hatte. Jetzt konnten die Rebellen sich hinter den Mauern festsetzen und konnten aus der sicheren Deckung heraus jeden Angreifer abschießen; von den Bastionen herunter vermochten sie mit der zwei- oder gar dreifachen Übermacht fertig zu werden.
Albrecht von Bayern-München warf sich im Sattel zurück, parierte den Hengst hart durch. Es war sinnlos geworden: Ritte er jetzt kopflos noch weiter, wäre es wirklich nichts anderes mehr als Selbstmord. Dies schoss ihm durch den Schädel, schon wollte er seinen wenigen Männern, die noch ein wenig zurückhingen, den Befehl zurufen, es sein zu lassen und zumindest auf die Hauptmacht zu warten, doch dann funkelte ihm bissig wiederum der Gedanke an den Glotzäugigen hoch – und wie aus einem mörderischen Zwang heraus trieb er den Rappen neuerlich brutal an. Trieb ihn hin gegen den steinkrustigen Wall und hörte die Warnrufe, die ihm nachgellten, nicht mehr. Er sah nur noch die zuckenden Pferdeohren, den Feind und die jetzt wie eine Lanze nach vorne gereckte Schwertspitze – und sah gleichzeitig den Untergang, das Ausgelöschtsein vor sich.
Etwas Teuflisches war jetzt in seinem Blut. Etwas, das aus jahrelanger Qual entstanden war, ballte und knäuelte sich harsch zusammen in ihm. Er wurde nicht mehr vom Verstand gelenkt, sondern bloß noch von der nackten Verzweiflung und dazu der Panik, und dann hob der Rappe ab, streckte sich über einen zertrümmerten Karren hinweg und fegte, ehe die überraschten Einhürnler noch das Tor zuzuwerfen vermochten, in den Markt hinein. Ein wäldlerischer Kriegsknecht schien wie in einem zwanghaften Totentanz gegen das Ross zu prallen; mit dem nächsten Lidschlag knirschten seine Knochen unter den trommelnden Hufen. Ein entsetzlich nackter, kreatürlicher Schrei gellte auf; mit dem viehischen Gurgeln und Kreischen mischte sich zeitgleich ein anderes Geräusch: ein fiederndes Pfeifen und Schwirren. Voll in den Pfeilhagel bäumte sich der Hengst hinein, die Eisenspitzen schnalzten ihm halbdutzendfach ins Fleisch; das Tier schien in den Himmel steigen zu wollen, aber dann kehrte sich die Bewegung um in den furchtbaren Sturz: Eine Fell-, Bein- und Muskelmasse gleich einem Berg begrub den Wittelsbacher unter sich.
Er blutete, er rang nach Luft, er spürte die würgende Lähmung bis in den innersten Kern; dennoch kam er frei und kam taumelnd auf die Beine, und immer noch umkrampfte seine Faust den Schwertgriff. Immer noch besaß er die Möglichkeit, selbst zu töten, und so ging er keuchend den Böckler an, der sich hohnlachend anschickte, ihm den Rest zu
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