Agrippina - Kaiserin von Rom
Hier in der Nähe?«
»Nein, sie leben auf ihrem Landgut in Tarquinii .«
»Den Namen habe ich noch nie gehört«, sagte Flavia. Sie nahm einen Krug klaren kühlen Wassers und goss davon in die beiden einfachen Tonbecher, die auf dem Tisch standen. Dankbar nahm Valerius den Becher zur Hand. Die Sonnenstrahlen und das Reden hatten seine Kehle ausgedörrt.
»Das ist eine alte etruskische Königsstadt, kaum mehr als eine Tagesreise von Rom entfernt. Ich habe lange nichts mehr von meinen Eltern gehört und würde mich sehr, ja wirklich sehr freuen, wenn ich sie bald wiedersehen könnte. Sie sind schon alt, und wer weiß ...«
»Wie heißt dein kleiner Sohn eigentlich?«
»Titus.«
Flavia machte einen nachdenklichen Eindruck. Sie zögerte einen Augenblick, dann sagte sie stockend: »Würdest du ... ich meine, könntest du dir vorstellen ... äh ... deinen Sohn ... äh ... Titus auch einer fremden Frau anzuvertrauen?«
»Einer fremden Frau?«
»Mir!«
»Dir? Bei den Göttern, wieso dir?«
Ein schmerzlicher Zug lag um Flavias Mund. Sie schwieg einen Augenblick, dann sagte sie leise: »Der Herr hat Flavius und mich nicht mit Kindern gesegnet, wie du vielleicht weißt. Nun wohne ich in diesem hübschen Haus, führe den kleinen Gewürzhandel und habe sonst nichts zu tun.«
»Wenn du nicht gerade die Christen der Stadt beherbergst«, meinte Valerius ernst.
» Recte , aber das füllt mich nicht aus. Wie gerne würde ich Kindergeschrei in diesen Mauern hören, hätte wieder eine Aufgabe. Sicher würde es der Kleine hier gut haben. Aber vielleicht kommt dir mein Angebot seltsam vor. Immerhin kennen wir uns kaum. Verzeih, dass ich es überhaupt gesagt habe.« Nervös wischte sie sich durch ihr Gesicht und zupfte an ihrem Haar.
»Darf ich darüber nachdenken?«
»Nachdenken? Äh ... natürlich. Sicher. Denk darüber nach!«
XXVII.
Agrippinas Tod
Auf dem Landgut des Subrius Caesonius ist wieder der Alltag eingekehrt. Jetzt im Frühjahr gibt es eine Menge zu tun. Das Haus muss geputzt werden, Scheunen und Speicher sind zu reinigen, die leeren Weinamphoren bedürfen der säubernden Hand. Und während die Sklaven unter der strengen Aufsicht der Herrin Sempronia ihren Pflichten nachkommen, ertönt lautes Kinderlachen vom Hof. Die Kinder der Sklaven, sicher zehn an der Zahl, spielen unbeschwert mit dem Recht der Jugend. Da werden Reifen mit Stöcken getrieben, dort werden huckepack Reiterkämpfe nachgespielt. Die einen ziehen an starken Tauen, andere versuchen, mit gezielten Würfen kleine Türme aus Nüssen zu zerstören. Unter denen, die da fröhlich spielen, ist auch die kleine Salania, die dunkelhäutige Tochter der Sklavin Sala. Kaum jemand auf dem Hof hatte bemerkt, dass die Kleine für einige Tage verschwunden war, und wenn jemand doch gefragt hatte, hatte Sala mit bekümmerter Miene geklagt, dass die Kleine krank sei. Sie habe rote Flecken und liege in ihrer Kammer. Vielleicht etwas Ansteckendes. Das hatte alle Fragen schnell beendet.
Und nun ist Salania wieder da, sehr zur Freude ihrer Mutter, die die Kleine küsst und herzt, als sei sie soeben von einer Weltreise zurückgekehrt. Und auch der kleine rotbäckige Titus ist bei den Kindern, die da gerade mit Triumphgeschrei huckepack einen Strohballen erobert haben.
An der Seite am Scheunentor sitzt die alte Arnicia. Sie muss schon über achtzig anni haben, so genau weiß das hier niemand. Von der Hausarbeit ist sie längst entbunden und erhält vom Herrn ein Gnadenbrot. Der ist nicht wie mancher anderer, der seine alten Sklaven aussetzt, damit sie, unnütz wie sie jetzt sind, ihm nicht den Schädel leer fressen. Und zum Aufpassen auf die Kinder eignet sie sich immer noch gut – wenn sie nicht, wie jetzt gerade, sanft eingeschlafen ist. Aber die Sonnenstrahlen zaubern eine solche Wärmeauf die alten Knochen, dass man gar nicht anders kann, als den Kopf zur Seite zu legen und für ein paar Augenblicke die Augen zu schließen. Nur für ein paar Augenblicke. So entgehen ihrem müden Blick die beiden zerlumpten Gestalten, die sich ungesehen auf den Hof geschlichen haben. Der eine von gedrungener Gestalt und kurzem blonden Haar, der andere mit langer schwarzer Mähne und ungepflegt, die schlanke hohe Gestalt leicht gekrümmt. Die beiden Männer schauen sich vorsichtig um. Der Blonde brabbelt jetzt etwas in merkwürdiger Sprache zu seinem Gefährten und zeigt grinsend auf den Knaben, der gerade hoch auf dem Strohballen steht und jauchzt. Es ist Titus, der
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