Airport-Klinik
dem Haar und seine Hand auf ihrer Hand, ein flüchtiges Streicheln nur, und wieder schloß sie die Augen, und wieder hörte sie die Tür klappen.
Dann war es endlich still. Sie stand auf. Die Wohnung kam ihr fremd, ja unwirklich vor. Sie ging in die Küche, öffnete den Kühlschrank, holte eine Flasche Mineralwasser heraus und goß sich ein Glas voll. Doch obwohl sie sich auf einen Stuhl gesetzt hatte, war ihre Hand so unsicher, daß das Glas umkippte und das Wasser über die Tischplatte und von dort über ihre Knie floß. Sie blieb dennoch sitzen und rührte sich nicht.
Drüben läutete das Telefon. Sie ließ es läuten.
Hubert war es, der Mann, mit dem du nach Australien wolltest? Es gibt keine Träume, die sich erfüllen, keine Flucht und keine Wunder.
Dein Wundermann ist nichts weiter als ein kleines, mieses, dreckiges, egoistisches Schwein … Jawohl! Ein Meter achtzig und grüne Augen! Vergiß ihn! Will dir einen Ring schenken und dies schenken und das schenken und behauptet, daß er dich glücklich sehen möchte – und dann läßt er dich in eine Falle laufen und entschuldigt sich am Ende noch nicht einmal! Ein Egoist, nein, viel mehr: Einer, der nichts kennt als sich selbst und der andere, ohne mit der Wimper zu zucken, ans Messer liefert.
Da war wieder dieses ekelhafte Telefon. Britte stand langsam auf, ging hinüber und nahm den Hörer ab.
Es war Bärbel Rupert, die Lernschwester in der Airport-Klinik.
»Britte? Bist du's?«
»Ja.«
»Britte, da ist was passiert. Was Schlimmes. Mit Rolf Gräfe …«
»Ja?« Sie umklammerte den Hörer.
»Ich wollte es dir nur sagen: Er ist verunglückt. Heute Nacht. Gerade hat die Uniklinik angerufen. Sie haben den ganzen Tag an ihm herumgeflickt. Deshalb hat er sich erst jetzt gemeldet …«
»Und?« Sie brachte die Frage kaum heraus. »Was ist es?«
»Er ist mit seinem Motorrad gestürzt. Irgendwas am Knie, am Bein und weiß der Teufel was. Es ist noch nicht klar heraus.«
»Danke.« Britte legte auf und betrachtete ihre Hände. Sie zitterten.
Er kam an verschleierten Pakistanifrauen vorbei, die erschöpft in ihren Liegesesseln lagen. An dunklen Männern aus Dubai oder Ghana. An den Schaufenstern der Andenken-Shops, der Boutiquen, der Kosmetik- und Blumengeschäfte. In der Leonardo da Vinci-Bar saßen ein paar Mädchen an der Theke und drehten über ihren Gläsern die Köpfe nach ihm – auf Kundenfang; die Aperitifstunde war die beste Zeit dazu. In der ›Rotisserie‹ hielt irgendein Politiker eine improvisierte Pressekonferenz. Am ›Brücken-Bistro‹ steckten Geschäftsleute die Köpfe in erregtem Gespräch zusammen. Es tat gut sich im Gehen zu entspannen. In fünf Minuten mußte er ohnehin zurück in die Klinik, der Chefarzt Dr. Fritz Hansen.
Er ging über schwarze, genoppte Kunststoffmatten, auf elegantem Marmorbelag, über blaue, graue und grüne Bodenmarkierungen, und hatte plötzlich den Eindruck, die ganze Zeit verfolgt zu werden.
Den Typ dort drüben – hatte er den nicht schon vorher im Tabakladen gesehen? Und dann beim Blumengeschäft? Was will der eigentlich? Was läuft er dir immer nach?
Es war ein eher unscheinbarer Mann in braunen Kordhosen und einem karierten, etwas altmodisch schäbigem blauen Sport-Blouson. Die Hände hielt er in den Taschen. Das Gesicht unter dem graublonden Haar wirkte blaß, angespannt.
Na, was soll's? Hier laufen viele rum …
Dr. Hansen ging weiter und vergaß seinen Schatten.
Zwischen den Säulen in der Ladengalerie blieb er vor dem Geschäft des Herrenausstatters Burresi stehen und betrachtete in einer Art tranceartigen, verzückten Hingabe ein paar schwarze Abendschuhe – nicht, weil er sich für Abendschuhe sonderlich interessierte oder selbst keine besäße, sondern weil sie ihn daran erinnerten, wie lange er schon nicht mehr in einer Oper oder in einem Konzert gewesen war. Und auf der rechten Seite der Schaufensterauslage schmuggelte sich auch noch ein raffiniert verlockendes Poster in seinen Blick. Es zeigte einen Strand mit Fischerbooten vor einem weißen griechischen Dorf.
Urlaub! dachte Fritz Hansen. Einmal wieder irgendwo Urlaub! Aber was soll's? Obwohl du ihn immer wieder träumst, den Urlaubstraum, es läuft ja doch jedesmal aufs Gleiche hinaus: Keine Zeit für Dinge, die beweisen, daß das Leben auch sorgenlos und fröhlich sein kann. Sich selbst finden, sich freuen, ein freier Mensch sein, Evi an die Hand nehmen, dort über den Strand rennen, dich ins Wasser werfen, sie im Sand lieben –
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