Akte Mosel
Bierkrüge dabei. Nach einer weiteren Stunde ist Schluß. Sie stöpseln die Instrumente ab und räumen die Anlage zusammen.
Uli fragt: »Zum Jupp oder zur Brauerei?«
»Brauerei wäre nicht verkehrt.«
Unter den großen Platanen sind die Tische voll besetzt. Stimmengewirr und Zigarettenqualm werden von dem dichten Blattwerk der Platanen festgehalten. Die drei suchen in dem durch Lichterketten nur schwach beleuchteten Biergarten nach freien Plätzen. Gegenüber winkt jemand.
Joachim Ganz lädt sie mit einer Handbewegung ein, sich an seinen Tisch zu setzen. Von der Sitzung des Kunstvereins ist außer ihm noch Doris übrig geblieben.
»Hast du dich schon wieder geprügelt?« ruft Jo so laut, daß die Leute an den Nebentischen interessiert herüberschauen.
Walde setzt sich, bevor er antwortet: »Hab’ mir den Kopf gestoßen, was gab es heute auf deinem Revier?«
Joachim Ganz führt im Landwirtschafts- und Weinbaureferat der Bezirksregierung unter anderem die Amtsgeschäfte des Kommissars für Reblausbekämpfung. Der Titel ist ein Überbleibsel aus der Zeit um die Jahrhundertwende, als während einer großen Reblausplage, die den gesamten Weinbau an der Mosel bedrohte, eine behördliche Stelle zur Bekämpfung des kleinen Schmarotzers eingerichtet wurde. Auf einem rostigen Schild neben dem Eingang des Amtes steht auch heute noch Kommissar für Reblausbekämpfung.
»Ich bin da einer Bande auf der Spur, eine ganz heiße Sache«, antwortet Jo.
»Organisiertes Verbrechen jetzt auch im Weinberg?« fragt Walde.
»Schlimmer noch, ich vermute, sie verstecken sich tagsüber in den Wäldern und kommen nur nachts hervor. Eine der Banditinnen habe ich vergangene Nacht höchstpersönlich gefaßt.«
»Und, hat sie gestanden?«
»Noch nicht, aber ich krieg’ die Reblaus schon noch weich. Zur Zeit ist sie noch nicht vernehmungsfähig – wegen des Verhaftungsschocks – ich habe sie um ein Haar zertreten.« Jo trinkt aus seinem Sprudelglas.
»Und wenn es gar keine Reblaus ist, es gibt auch andere Läuse«, mischt sich Uli ein.
»Das fehlte noch, Bacchus bewahre mich!« entrüstet sich Jo.
Als eine Bedienung ein Tablett auf den Tisch stellt und die Getränke verteilt, schaut Doris auf ihre Uhr.
»Doris, sorry, daß ich dich mit dieser Fachsimpelei gelangweilt habe, aber echte Kriminologen haben nie Feierabend«, sagt Jo, der Doris’ Blick bemerkt hat.
»Soviel mir bekannt ist, muß man kein Kriminologe sein, um eine Ladung Gift auf die armen Rebläuse zu spritzen. Das ist doch wohl höchstens eine Frage der Dosis. Und da hilft ja wohl schon die Packungsbeilage weiter«, bemerkt Doris.
»Jetzt mal ohne Quatsch«, unterbricht Jo. »Der Walde und ich, wir haben uns tatsächlich an der Uni bei einem Kriminologievortrag kennengelernt.«
»Ich dachte, du hast Biologie studiert?«
»Stimmt, aber der Bender, der ehemalige Chef des Bundeskriminalamtes, hat damals einen Vortrag an der Mainzer Uni gehalten. Der kam mit großem Gefolge an, fünf Autos und zwei Dutzend Leibwächter. Er soll angeblich ganz oben auf der Abschußliste der RAF gestanden haben. Abgesehen von der konkreten Terrorismusbekämpfung hatte er aber wirklich was drauf.«
»Bist ja schließlich auch Kommissar für Rebläuse geworden«, Doris trinkt ihr Glas aus. Sie greift nach ihrer Mappe und steht auf.
»He, Doris, willst du schon nach Haus, jetzt, wo es gerade gemütlich wird?« ruft Jo.
»Hab’ morgen einen frühen Termin, also bis dann.«
Als Doris zwischen den Tischen hindurch auf die Straße gelangt, kramt sie in der Mappe nach ihrem Haustürschlüssel, um sich zu versichern, daß sie ihn eingesteckt hat. Als erstes ertastet sie ein kleines Döschen. Die Lutschtabletten hat sie, bevor sie das Haus verließ, herausgenommen. Jetzt ist es randvoll mit fein gemahlenem schwarzen Pfeffer. Der ist besser als Tränengas. Im Falle, daß einer der Typen von eben ihr nochmals zu nahe kommt, wird er eine unangenehme Überraschung erleben. Sie findet den Haustürschlüssel und beschleunigt ihre Schritte.
Auf der Brücke über die Bahngleise versucht ein Junge, über einen der schmalen Brückenbögen zu balancieren. Unten ermuntert ihn eine Gruppe grölender Betrunkener. Obwohl Doris nicht will, muß sie doch hingucken. Als er den höchsten Punkt erreicht, auf der einen Seite fünf Meter über der Straße und auf der anderen zehn über den Bahngleisen, schwankt der Kletterer und streckt die Arme wie ein unsicherer Seiltänzer zur Balance aus. Langsam
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