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Akte Mosel

Akte Mosel

Titel: Akte Mosel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mischa Martini
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zwei Stunden später wird Doris von der Sachbearbeiterin aufgerufen: »Entschuldigung Sie, daß Sie so lange warten mußten. Heute ist hier die Hölle los. Schillo ist mein Name, ich vertrete Frau Petry.« Sie schaut auf ihren Bildschirm und fragt: »Wie sind die Aussichten, Frau Morgen?«
    »Ich habe mich letzte Woche beworben und bisher noch keine Antwort. Haben Sie etwas?«
    Frau Schillo hackt in die Tasten: »Also unter Textilindustrie ist zur Zeit nichts gemeldet.«
    »Da werden Sie hier auch nichts finden außer einer Fabrik für Gummistiefel. Ich habe die letzten Jahre in einem Gebäudereinigungsunternehmen gearbeitet und hauptsächlich das Personal betreut.«
    Die Sachbearbeiterin tippt wieder etwas ein: »Personal ist auch nichts, Moment, hier habe ich was: Personalbuchhaltung!«
    »Dafür hatten wir einen Buchhalter, ich habe mich um die Einstellungen, Arbeitseinteilungen und Abrechnungen gekümmert.«
    »Also doch Buchhaltung.«
    »Nein, nicht direkt, die Firma hatte über 300 Leute beschäftigt, die meisten mit Verträgen für geringfügig Beschäftigte, es war ein ständiges Kommen und Gehen. Da mußten Anzeigen geschaltet, Bewerbungsgespräche geführt und Schulungen abgehalten werden. Was die Buchhaltung anbetrifft, gingen nur die Stundenabrechnungen über meinen Tisch.«
    »Das war die Gebäudereinigung Räumer … ist jetzt sechs Monate her, und Sie haben gekündigt …«, der Blick der Sachbearbeiterin wechselt unablässig zwischen Papieren und dem Bildschirm.
    »Nein, so war das nicht, das wird von Herrn Räumer, meinem ehemaligen Chef, behauptet.«
    »Hier steht, daß Sie gekündigt haben und sogar tätlich wurden.«
    »Das habe ich alles mit Ihrer Kollegin schon geklärt. Der Betrieb ist anschließend in Konkurs gegangen, ich hatte vier Monate Lohn und jede Menge Überstunden ausstehen und hab’ mal auf den Tisch gehauen.«
    »Da müssen Sie aber ganz schön fest gehauen haben, hier steht, Sie hätten den Tisch umgeworfen.«
    Frau Schillo zündet sich eine Zigarette an, steht auf und öffnet ein Fenster.
    Doris versucht, ruhig zu bleiben: »Ich habe dort knapp vier Jahre gearbeitet und die Firma mit aufgebaut. Können Sie sich vorstellen, was es heißt, monatelang Ansprechpartner für hundert Mitarbeiter zu sein, die auf ihren Lohn warten?«
    »Warum hat man sich nicht an Herrn Räumer gewandt?«
    »Der war doch nie da, der hat doch noch ein paar andere Firmen, Immobilienverwaltungsgesellschaft, Immobilienvermittlung …«
    »Und die existieren noch?«
    »Der hat riesigen Immobilienbesitz in der Stadt. Keiner konnte glauben, daß die Firma liquidiert wird«, sagt Doris.
    »Das war wohl eine GmbH & Co KG, da geht so was ohne großes Federlesen.«
    »Auf Kosten der Mitarbeiter und Lieferanten. Abgesehen davon habe ich nur einen Teil meines Lohnes über Konkursausfallgeld erhalten und dazu noch eine Sperre der Arbeitslosenunterstützung aufgebrummt bekommen.«
     
    Vom Arbeitsamt fährt Doris zum Umziehen nach Hause und gleich weiter Richtung Stadtwald. Unterwegs zeigt das große Thermometer an der Bäckerei, wo sie sich zwei Hörnchen kauft, 29 Grad Celsius. Die Ozonwerte der letzten Tage lagen konstant über 200 Mikrogramm. Sie parkt auf einem kleinen Parkplatz direkt am Weißhauswald. Spätabends spielt sich hier der sogenannte Eifelstrich ab.
    Doris steigt aus dem Auto und stellt ihre Uhr auf Stopfunktion um. Nach zwei Kilometern kommt sie über die Weggabelung am Schusters Kreuz. Zwischenzeit 11 Minuten, 22 Sekunden, das ist zu schnell. Der Schweiß läuft ihr schon von der Stirn in die Augen. Sie trägt eine kurze Hose und ein ärmelloses Laufhemd, das vorne aus einem Material gearbeitet ist, das den Schweiß schnell verdunsten läßt und auf dem Rücken nur von ein paar dünnen Trägern zusammengehalten wird. Jetzt geht es drei Kilometer bergab. Sie zügelt das Tempo und läßt ihren Gedanken freien Lauf. Noch eine kurze Gerade, dann kommt ein langer Anstieg. Doris braucht sich nicht mehr zu besonnenem Laufen anzuhalten, die Geschwindigkeit hat von selbst merklich nachgelassen. Bergauf werden ihre Schritte kürzer. Ihr Hemd ist naß und klebt. Sie zupft es über der Brust hoch, um das Gefühl zu dämpfen, daß ihr der Atem eingeschnürt wird. Besser wäre es, ein paar Meter zu gehen, aber sie läuft weiter. Die Arme rudern heftiger. Als sie oben ankommt, fühlt sie auf der folgenden, leicht abschüssigen Geraden, wie die Kräfte wiederkommen, wie der Atem ruhiger und ihr ganzer Körper

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