Akte Mosel
mitgenommenen Gemäuer mit viel Liebe, Schweiß und Geld ein Schmuckkästchen gemacht. Den Zugang säumen eine Vielzahl von Kapitellen und anderen Säulenteilen, Sarkophagstücken und Balkenresten. Walde betätigt den Türklopfer. Nach dem dritten Klopfen wird geöffnet. Jo steht, nur mit einem knappen schwarzen Tanga bekleidet, vor ihm. Sein großer Körper ist mit Blutspritzern gesprenkelt. In der Hand hält er ein Messer. Walde versucht, sich seine Überraschung nicht anmerken zu lassen.
»Hallo, Herr Kollege, hast du einen Durchsuchungsbefehl?« dröhnt Jos bassige Stimme. Dabei hält er die blutverschmierten Hände so, daß nichts auf den Steinboden tropft, und weist mit der Messerspitze ins Innere.
Scheiße, er hat Marie gekillt, denkt Walde, und jetzt ist er total besoffen, sonst könnte er nicht so cool sein. Warum hat er seine Frau umgebracht? Wer ist als nächster dran? Jetzt könnte er seine Dienstwaffe, am besten Verstärkung, gebrauchen.
Walde überlegt, unter welchem Vorwand er verschwinden könnte. Wie immer, wenn er unter Streß steht, fällt ihm nichts ein. Wie kann er Jo das Messer abnehmen?
Selbst bei einem Kampf ohne Waffen fürchtet Walde, gegen den zwar ein paar Zentimeter kleineren, dafür aber mindestens 30 Kilogramm schwereren muskelbepackten Gegner den kürzeren zu ziehen.
Walde geht zögernd hinter Jo durch Diele und Küche und folgt ihm in den Garten. Dort sitzt Marie am Gartentisch. Sie trägt einen Bikini, und ihre braune Haut ist ebenfalls mit Blut bespritzt. Aus ihrem freundlichen Lächeln schließt Walde, daß sie lebt und es sich bei ihr auch nicht um ein verletztes Opfer handeln kann.
Wen haben die beiden umgebracht? Walde fallen auf der Stelle zwei Motive ein, die bei Jo eine solche Kurzschlußhandlung auslösen könnten. Entweder hat jemand die Münzsammlung verhökert oder den Weinraritätenkeller leergesoffen!
»Nimm Platz, wir entkernen Kirschen, magst du welche?«
Als er sich auf einen Stuhl fallen läßt, bleibt Waldes Seufzer nicht unbemerkt.
»Was hast du denn gedacht, was hier los ist?« grinst ihn Jo an, als könnte er Gedanken lesen. »Was zu trinken, Sprudel oder Saft?«
»Sprudel, danke«, Walde beruhigt sich langsam. Jetzt nimmt er auch die Einmachgläser, die bis auf eines gefüllt sind, und eine Schüssel voller Kirschkerne auf dem Tisch wahr. Marie bedient einen kleinen, an der Tischkante angeschraubten Apparat, der einem Korkenzieher ähnelt. Sie legt jeweils eine Kirsche ein, drückt mit einem Hebel einen Dorn durch die Frucht, und der Kern fällt an der Seite herunter.
Joachim hat eine Schüssel vor den Bauch geklemmt und entfernt die Kerne mit einem Küchenmesser.
»Kirschen im August?« fragt Walde.
»Die hatten wir nach dem Pflücken eingefroren, weil wir keine Zeit zum Einmachen hatten. Wir sind gleich fertig, dann können wir los.«
Marie erhebt sich etwas von ihrem Stuhl: »Was ist mit deinem Kopf passiert?«
Walde fährt instinktiv an das Pflaster: »Das ist im Feller Bergwerk passiert. Als ich mich im Dunkeln vortasten mußte, habe ich an Jo, den Experten, gedacht, von wegen an einer Seite vorbeitasten oder dem Luftzug folgen.«
»Grundbedingung ist schon mal, daß man unter Tage nie allein ist, mindestens zwei Leute. Außerdem sollte man genügend Reservelicht dabei haben. Das ist wie beim Tauchen.«
»Da braucht man wohl eher Sauerstoff.«
»Natürlich, aber auch Licht, wenn du nicht nur direkt unter der Oberfläche bleiben willst. Ich ziehe mir noch was an, und dann können wir.«
Jo und Walde haben sich verabredet, um gemeinsam nach Kersch zu fahren. Jo hat auf Luftbildern von einem großen Getreidefeld am Ortsrand auffällige Wachstumsstrukturen entdeckt, die auf eine frühere Besiedlung, vielleicht die Fundamente einer Römervilla, hinweisen.
Jo ist ein geübter Beifahrer. Er hat nie auch nur den Versuch gemacht, einen Führerschein, egal welcher Klasse, zu erwerben. Selbst das Fahrradfahren ist ihm zuwider, lieber geht er zu Fuß. Ansonsten benutzt er Stadtbusse oder läßt sich von Marie im 2CV-Kastenwagen kutschieren. In seinem Haus haben, abgesehen von der Zentralheizung, einigen Haushaltsgeräten und einer Stereoanlage, sonstige technische Errungenschaften der letzten 50 Jahre wie Fernseher und Computer nur zögernd Einzug gehalten. Dafür ist es vollgestopft mit größeren und kleineren Sammlerstücken aus verschiedenen Epochen der Stadtgeschichte. Seine Sammelleidenschaft ist ungebrochen.
»Können wir noch vorher
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