Akte Weiß: Das Geheimlabor, Tödliche Spritzen
Handtuch hing über einer Stange. Sie schlenderte in den sonnendurchfluteten Wohnraum, von dort in die Küche. Nirgends eine Menschenseele. Kate suchte weiter, öffnete Türen und blickte in Zimmer. Mehr und mehr drängte sich ihr der Eindruck auf, in einem unbewohnten Haus zu sein. Einem unerklärlichen Impuls folgend, öffnete sie Davids Kleiderschrank und blickte auf eine Reihe makelloser Anzüge. Doch auch die brachten ihr den Menschen nicht näher. Sie kehrte in den Flur zurück und ging von dort in sein Büro. Es war ein wohlgeordneter Raum mit Eichenmöbeln, Messinglampen und vielen Büchern … aber seelenlos.
Als sie die letzte Tür am Ende des Flurs öffnete, schlug ihr abgestandene Luft entgegen. Kate bemerkte zu ihrem Erstaunen, dass es ein Kinderzimmer war. Vor dem Fenster bewegte sich ein Mobile aus Prismen. Es sandte bunte Lichter über die Tapete mit den kleinen bunten Pferdchen, über die Regale voller Spielzeug und das Bett mit der geblümten Decke. Kate trat vorsichtig an den Schreibtisch, auf dem ein Stapel Bücher lag. Sie öffnete eines und las im Innendeckel: Noah Ransom.
„Tut mir Leid, David”, flüsterte Kate den Tränen nahe, dann wandte sie sich ab, lief schnell hinaus und schlug die Tür beinahe panikartig hinter sich zu.
Wieder in der Küche, setzte sie sich zu einer Tasse Kaffee an den Tisch und las noch einmal die nüchterne Mitteilung, die sie schließlich auf der weißgefliesten Arbeitsplatte entdeckt hatte. Glickman nimmt mich mit. Der Wagen gehört heute dir. Bis heute Abend.
Daneben hatten die Autoschlüssel gelegen. Das war also David Ransom, der Mann aus Eis, Herr eines seelenlosen Hauses. Sie hatten eine leidenschaftliche Liebesnacht miteinander verbracht, und er hinterließ ihr eine unpersönliche Nachricht, ohne ein zärtliches Wort, sogar ohne Unterschrift.
Offenbar hatte er sein Leben ordentlich in verschiedene Abteilungen gegliedert und sperrte seine Gefühle in Schubfächer ein, die er nur bei Bedarf öffnete. Sie konnte das nicht. Er fehlte ihr bereits jetzt, nach nur einer zusammen verbrachten Nacht. Vielleicht liebte sie ihn sogar, obwohl das verrückt und unlogisch wäre.
Ärgerlich über sich selbst stand sie auf und spülte die Tasse aus. Verdammt, sie hatte sich um Wichtigeres zu sorgen als um einen Mann. Heute Nachmittag war die Anhörung vor dem Ärztekomitee. Sie nahm Jennifer Brooks Krankenhausakte an sich, die auf dem Küchentisch gelegen hatte. Dieses Dokument enthielt irgendein Geheimnis, das bereits mehrere Menschen das Leben gekostet hatte. Und nur Charles Decker schien es zu kennen. Dieser Mann, den die Polizei für ein gefährliches Monster und Anwalt Kahanu für eine verlorene, aber harmlose Seele hielt. Kate stutzte. Natürlich, das war es! Der Mann hatte zwei Gesichter wie Dr. Jekyll und Mr. Hyde.
„Die gespaltene Persönlichkeit ist ein seltenes Phänomen, wird aber in der Fachliteratur sehr gut beschrieben.” Susan Santini wandte sich mit dem Drehsessel um, nahm ein Buch aus dem Regal und legte es auf ihren Schreibtisch. Ihr widerspenstiges rotes Haar war heute zu einem ordentlichen Knoten zusammengefasst. Hinter ihr an der Wand hing eine beeindruckende Anzahl von Auszeichnungen, die bewiesen, dass Susan auf ihrem Gebiet eine Kapazität war. Sie beugte sich über das geöffnete Buch. „Hier ist eine Reihe solcher Fälle beschrieben.”
„Hast du selbst mal so einen Fall gehabt?” fragte Kate. „Das habe ich gedacht, als ich noch fürs Gericht arbeitete.
Aber der Mann war nur ein guter Schauspieler, eine Minute sanft wie ein Lamm, in der nächsten das reinste Ungeheuer. Eine großartige schauspielerische Leistung.”
„Ist es möglich, dass ein Mensch aus zwei völlig verschiedenen Persönlichkeiten besteht?”
„Die menschliche Psyche besteht aus Gegensätzen, aus Impuls und Kontrolle. Denk an Gewalt. Die meisten Menschen können gewalttätige Neigungen beherrschen, andere können das nicht, vielleicht weil sie als Kinder missbraucht wurden oder weil etwas in ihrem Gehirn nicht richtig funktioniert. Diese Leute sind wandelnde Zeitbomben, die wir aber nicht als solche erkennen. Erst wenn derjenige über das Maß des Erträglichen unter Stress gerät, bricht die Gewalttätigkeit auf.”
„Glaubst du, dass Charles Decker eine solche Zeitbombe ist?”
„Das ist schwer zu sagen. Offenbar kam er aus unglücklichen Familienverhältnissen, und dann wurde er vor fünf Jahren wegen Sachbeschädigung und tätlichen Angriffs
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