Akte X
einmal rufen wollte sie nicht, da sie sich noch zu gut erinnerte, wie der alte Archäologe hier oben nach seiner Tochter gerufen und dann vergeblich auf sie gewartet und nach ihr ausgespäht hatte. Auch Cassandra Rubicon hatte nicht geantwortet.
Scully wollte schon aufgeben und trat eher beiläufig an den Rand der Plattform, um auch noch einen Blick auf die von der Plaza abgewandte Seite zu werfen. Mit vorgerecktem Hals spähte sie in die Tiefe.
Und dann stockte ihr der Atem.
Mulder steckte seinen Kopf in die klamme Öffnung der Pyramide und kniff die Augen zusammen. Er bemerkte Spuren von Stemmeisen, wo Cassandra Rubicon und ihre Helfer den Eingang aufgebrochen hatten.
Er schaltete seine Taschenlampe ein, und der gleißende Strahl durchbohrte die Finsternis wie ein Speer und drang in die geheimnisvolle Schwärze des von MayaSklaven erbauten Labyrinths. Die Lampe lag schwer in seiner Hand und gab ihm Zuversicht.
Obwohl die hohe Pyramide schon Hunderte von Jahren überdauert hatte, sah das Innere nicht solide genug aus, um Mulder zu beruhigen – vor allem nach den Erdstößen an ihrem ersten Abend in Xitaclan. Die handgemeißelten Kalksteinblöcke hatten an den Rändern zu bröckeln begonnen, und die Oberflächen waren von gierigen Flechten und Moosen überdeckt.
Mulders Schritte hallten auf dem steinernen Fußboden. Er leuchtete hinab und sah verwischte Fußspuren im Staub – Mulder konnte nicht erkennen, ob die Schuhabdrücke von einem Mitglied des archäologischen Teams oder von irgendwelchen Grabräubern stammten... oder ob sie erst heute morgen von dem alten Archäologen zurückgelassen worden waren.
»Hallo, Dr. Rubicon – sind Sie hier drinnen?« rief Mulder und schwenkte seine Taschenlampe in verschiedene Richtungen. Seine Worte hallten mit einem unerwarteten Schwingen, einer glockenähnlichen Schärfe zu ihm zurück.
Tastend drang Mulder tiefer in die Pyramide ein und blickte sich über die Schulter immer wieder nach dem verblassenden Tageslicht der Öffnung um. Er wünschte, er hätte wie die Kinder im Märchen Brotkrumen mitgebracht, um eine Spur zu hinterlassen... oder wenigstens seine Sonnenblumenkerne.
Irgendwo tropfte Wasser herab. Aus dem Augenwinkel glaubte er eine Bewegung zu sehen – doch als er den Lichtstrahl auf die Stelle richtete und die scharfen Schatten musterte, wußte er, daß es nur eine optische Täuschung gewesen war. Nervös rieb er sich mit dem Handrücken über die Nasenspitze. Die Dunkelheit und die bleierne Luft lasteten schwer auf ihm.
Dankbar dafür, daß er nicht unter Klaustrophobie litt, ging er langsam weiter vorwärts. Die Temperatur war abgesunken, als hätte eine finstere Macht alle Wärme aus der Luft gezogen... es war mindestens ein Dutzend Jahrhunderte her, daß Sonnenlicht ins Innere dieses Tempels gedrungen war. Im Schein der Taschenlampe bemerkte er, daß die Decke mit Holzbalken abgestützt worden war, roh bearbeiteten Baumstämmen, die erst kürzlich hier angebracht worden waren, zweifellos von Cassandras Assistenten. Sie müssen einen unbändigen Drang verspürt haben, das Innere zu erkunden, dachte er, tiefer und tiefer in diese Pyramide einzudringen, um ihre Geheimnisse zu entschlüsseln.
»He, Dr. Rubicon«, sagte er noch einmal, diesmal mit normaler Stimme, da er das dröhnende Echo fürchtete.
Er sah hinab auf den staubigen Boden, über den offenbar noch niemand gegangen war – doch dann bemerkte er ein Paar Abdrücke, die von kleineren Schuhen stammten. Es war die Schuhgröße einer Frau. Mulders Herz schlug vor Erregung schneller. Cassandra war hier gewesen!
Vorsichtig setzte er einen Fuß vor den anderen, mit angehaltenem Atem und in mehrfacher Hinsicht fasziniert. Sein Orientierungssinn sagte ihm, daß er sich dem Herzen der Pyramide näherte. Er kam tiefer hinunter; vielleicht war er schon unter dem Bodenniveau.
Die Innenwände sahen jetzt anders aus als in den Gängen, durch die er zuvor gekommen war und wo sie aus schlichten, aus Kalkstein gehauenen Blöcken bestanden hatten. Die Wand zu seiner Linken war dunkel und seltsam schimmernd, als wäre sie mit einer gläsernen Schicht überzogen, und dieses Wandmaterial deutete auf etwas Neues hin.
Mulder berührte die glasige, glatte Oberfläche und setzte seinen Weg fort. Nach wenigen Metern war der Korridor von herabgefallenem Geröll blockiert, einer teilweise eingestürzten Decke, die den Durchgang, der direkt ins Zentrum der Pyramide führte, versperrte. Mulder blieb stehen und dachte, er
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