Akte X
jeder der Darstellungen hatte der göttliche Besucher dem Betrachter den Rücken zugewandt, den Kopf erhoben, das unsichtbare Gesicht gen Himmel gekehrt, als warte er... auf Botschaften von seinem Volk... auf Rettung?
Doch dann hat sich Kukulkan in das verlassene Schiff zurückgezogen, dachte Mulder, und hat sich – aus welchem Grund auch immer – in eine dieser Kammern begeben, um für immer dort zu bleiben... um dort zu sterben.
Oder es war ein Unfall geschehen.
Wieder näherte sich Mulder dem Alkoven der erstarrten jungen Frau und versuchte zu erkennen, ob sie sich bewegt hatte, mit den Augen geblinzelt, Luft geholt. Doch es hatte sich nichts verändert.
Durch die verschwommene Masse hindurch sah Cassandra keineswegs leblos aus. Ihr Gesicht hatte immer noch eine frische Farbe, und auf einer Wange befanden sich etliche winzige Verletzungen, als hätte sie eine Splitterfontäne abbekommen. Das Haar war schweißfeucht, die Haut staubig – vermutlich hatte sie sich ihren Weg durch die teilweise eingestürzten Katakomben in der Pyramide über ihnen gebahnt. Sie wirkte erschöpft, erhitzt... verängstigt.
Aber nicht tot. Mulder hatte genügend Leichen gesehen, um das zu wissen.
Angenommen, dieser Ort war tatsächlich ein vergrabenes Raumschiff, fragte er sich, konnte es dann nicht sein, daß dies eine Art Tiefschlafkammer war, eine Stasis-Kabine, in der die Zeit für die außerirdischen Kundschafter aufgehoben war, um die unvorstellbar lange Reise durch den leeren Raum unternehmen zu können? Diese Idee war schon in zahlreichen Sciencefiction-Filmen benutzt worden... und vielleicht war sie ja gar nicht so abwegig.
Mulder untersuchte die Wände neben Cassandras leuchtender Kammer, doch er fand keine Bedienelemente, keine Hebel, keine farbigen Knöpfe, die ihm zeigten, wie man die erstarrte Substanz auftauen könnte.
Also streckte er die Hand aus, um das kalte, trübe Gel zu berühren. Er hoffte, einfach Cassandra Rubicons Hand ergreifen zu können und sie aus ihrem gläsernen Sarg zu ziehen wie der Prinz, der Schneewittchen aus seinem Todesschlaf erweckt.
Er zögerte, bevor seine Fingerspitzen die Substanz berührten... Da war sie, die Angst, die Todesangst, die Masse könnte ihn wie außerirdischer Treibsand ebenfalls einsaugen und für immer bannen... Doch er mußte es probieren. Er mußte es riskieren. Tief durchatmend schob Mulder schnell seine Hand hinein, bevor die Zweifel stärker werden konnten.
Als er die kalte, gelartige Wand berührte – platzte sie auf wie eine Seifenblase. Ströme einer glitschigen, sich verflüchtigenden Flüssigkeit ergossen sich über die Bodenplatten.
Hustend und nach Atem ringend stürzte Cassandra Rubicon auf ihn zu, bereits in vollem Lauf, als wäre sie mitten in einer panikartigen Flucht erstarrt. Tropfnaß krachte sie gegen Mulder und schrie schrill und durchdringend. Er hielt die Arme vor sich, um sich zu verteidigen, als sie ihn mit ihrer Wucht zu Boden riß und sofort auf ihn einschlug.
»Nein!« krächzte sie. »Laßt uns in Ruhe!« Sie packte die schwere Taschenlampe, die an ihrem Gürtel hing, und zielte damit nach Mulder.
Blitzschnell hob er die Ellbogen, um den Schlag abzuwehren. Er erinnerte sich an sein Einzelkampftraining, packte ihr Handgelenk, riß ihr mit der anderen Hand die Lampe weg und hielt dann ihre Arme in der Luft auseinander. »Ruhig! Ich bin vom FBI, Bundesagent. Ich bin hier, um Sie zu retten.«
Sie zitterte und sackte in sich zusammen. »Da hat jemand geschossen... und dann war da ein helles Licht.« Sie sah sich mit verschmierten Augen um und blinzelte immer wieder in dem verzweifelten Versuch, einen freien Blick zu bekommen. Schaudernd wischte sie sich dünnen Schleim vom Gesicht. Sie schien noch nicht wieder klar denken zu können – Teile ihres Gehirns waren offensichtlich noch benommen... aus der Zeit gefallen.
Mulder setzte sich vorsichtig auf und behielt sie im Auge. Er wußte, daß er einen wenig vertrauenerweckenden Eindruck machen mußte – zerschlagen, schlammig von seinem Abstieg die glitschigen Wände der Cenote hinunter, verschwitzt von dem tagelangen Marsch durch den Dschungel. Doch die junge Frau, die immer noch mit Resten von Schleim besudelt war, sah erheblich schlimmer aus.
Mechanisch versuchte er, wenigstens seine Finger zu säubern. »Ich vermute, Sie sind Cassandra Rubicon?« fragte er. Als sie nickte, fuhr er fort: »Sie und Ihr Team werden seit zwei Wochen vermißt.«
»Unmöglich«, hüstelte sie und wischte sich angeekelt die
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