Akte X
auf Gummiflößen damit beschäftigt, das Flussbett mit großen Netzen abzusuchen.
Mulder, Scully und Arens sahen vom Ufer aus zu. Mulder machte einen nervösen Eindruck und lief unentwegt auf und ab. Solange die Möglichkeit bestand, dass er im Irrtum war...
Dann hörten sie ein aufgeregtes Rufen. Die Männer auf einem der Flöße zogen ihr Netz wieder ein, und einer wandte sich um und winkte Arens und den FBI-Agenten hektisch zu, während die anderen weiter an dem Netz zerrten, bis es schließlich ganz auf dem Floß lag. Danach ruderten die Männer zu einem kurzen hölzernen Bootsanleger, der vom Ufer aus auf den Fluss hinausragte.
„Ob sie Kearns gefunden haben?“ überlegte Mulder lauter als beabsichtigt.
„Finden wir es doch heraus“, entgegnete der Sheriff, und sie eilten gemeinsam zu dem Bootssteg hinüber.
Als sie über die alten, gefährlich knirschenden Holzbohlen liefen, befürchtete Mulder einen Augenblick, die Konstruktion könne der Belastung nicht standhalten. Doch nachdem Arens’ Mitarbeiter ihr Netz auf das Ende des Stegs gehievt hatten, vergaß er diese Sorge.
Das Netz war voller Knochen, die tropfnass und leicht veralgt in der Sonne schimmerten. Diese Tatsache hätte Mulder als kleinen Triumph werten können, hätte es da nicht ein Problem gegeben.
Das Netz war zu voll. Es waren viel zu viele Knochen, um nur von einer Person zu stammen. Auf den ersten Blick erkannte Mulder, dass sie die Überreste von mindestens fünf Menschen vor sich hatten.
Falls der Leichnam George Kearns’ in diesem Fluss versenkt worden war, so hatte er offensichtlich Gesellschaft gehabt. Zahlreiche Gesellschaft.
9
Den Rest des Nachmittags verbrachten die Beamten damit, den Fluss nach weiteren Gebeinen abzusuchen, und sie zogen im Laufe der Stunden noch einige volle Netze heraus.
Sofort nach ihrem Fund wurden die Knochen zur Leichenhalle transportiert und wenig feierlich auf dem Fußboden des forensischen Labors gestapelt. Binnen kurzer Zeit wuchs der Haufen zu einem grässlichen Berg heran, und Scully verbrachte etliche Stunden mit dem Versuch, die Knochen zu sortieren und einzelnen Personen zuzuordnen.
Mulder fuhr ständig zwischen dem Fluss und dem Labor hin und her. Als er wieder einmal das Labor betrat, fand er Scully vor einem kleinen Knochenhaufen, zu dem ein Stück eines Brustkorbs, ein unvollständiges Becken und ein Unterarmknochen zählten. Scully hielt den großen Oberschenkelknochen in der Hand und untersuchte ihn mit Hilfe einer viereckigen Lupe.
„Sheriff Arens hat draußen noch mehr“, kündigte Mulder an. „Und als wir abgefahren sind, haben sie immer noch Knochen aus dem Fluss gezogen.“
Scully nickte. Dies würde eine verdammt lange Nacht werden. „Na ja...“ Sie sah Mulder an, der sich neben ihr niederhockte. „Bis jetzt konnte ich neun verschiedene Skelette zuordnen.“ Mit der Fingerspitze deutete sie auf die Knochen vor ihren Füßen. „Dieses hier war einmal George Kearns.“
„Wirklich?“ Mulder war beeindruckt. „Woher wissen Sie das?“
Scully zeigte ihm den Oberschenkelknochen, aus dem ein dünner Stahlstift hervorragte. „Dieser Nagel hier... laut seinen medizinischen Unterlagen hat er sich vor vier Jahren das rechte Bein gebrochen.“
Mulder blickte sich im Raum um. Die teilweise rekonstruierten Skelette lagen sauber zusammengefügt auf dem Boden - und ihm fiel auf, dass unter all den Knochen, die sie bis jetzt auf dem Grund des Flusses gefunden hatten, kein einziger Schädel gewesen war. „Was ist mit den anderen?“
„Tja“, seufzte Scully. „Solange ich keine moderneren Geräte habe, kann ich es nicht ganz sicher sagen, aber ich nehme an, dass einige dieser Knochen über dreißig Jahre alt sind.“
Mit erwartungsvoll erhobenen Brauen musterte Mulder seine Partnerin. Ihre Entdeckung war bemerkenswert, doch sie hatte ihm noch mehr zu sagen.
„Und sie haben alle ein seltsames Detail gemeinsam“, sagte sie prompt.
Mulder dachte an die Besonderheit, die auch ihm aufgefallen war. „Sie scheinen alle den Kopf verloren zu haben...“
„Ja, aber abgesehen davon...“ Scully wies auf einen Knochenhaufen in der Nähe. „Die älteren Knochen haben einen Oberflächenabrieb, wie man es erwarten sollte...“ Dann griff sie erneut nach George Kearns’ Oberschenkelknochen und reichte ihn Mulder. „Aber aus irgendeinem Grund“, fuhr sie fort, „sind alle Knochen, sogar die von Kearns, an den Enden glatt und abgeschliffen.“
Mulder untersuchte den Oberschenkelknochen.
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