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Akunin, Boris - Pelagia 01

Akunin, Boris - Pelagia 01

Titel: Akunin, Boris - Pelagia 01 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Pelagia und die weissen Hunde
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Hundenarr. Mein Vater hatte ausgezeichnete Barsois. Man kann sagen, ich bin in einem Hundezwinger aufgewachsen. Es braucht noch zehn Jahre, damit sich aus diesem Kerlchen« – er kraulte Sakussai, der süß neben der Witwe schlummerte, hinterm Ohr – »eine dauerhafte Rasse entwickelt. Sie wird den Namen Tatistschew tragen, so dass noch in hundert, zweihundert Jahren . . .«
    In diesem Moment wurde Sakussai, der durch die Berührung wach geworden war und die ihn kraulende Hand konzentriert beobachtete, aktiv – er schnappte mit seinen spitzen Zähnchen nach dem gepflegten Finger.
    »Aua!«, schrie Bubenzow und riss die Hand weg, so dass der Welpe kopfüber zu Boden flog, doch er war nicht beleidigt, sondern kläffte vergnügt, schüttelte den rundstirnigen Kopf und sauste spornstreichs zur Tür, die einen Spaltbreit offen geblieben war.
    »Haltet ihn!« Die Witwe fuhr in Panik vom Kissen hoch. »Tanja, Tanja! Schon wieder!«
    Das Stubenmädchen sprang schlaftrunken auf und verstand nicht. Auch Bubenzow erhob sich.
    Das runde weiße Hinterteil blieb in dem schmalen Türspalt stecken, aber nicht lange. Die dicken Beinchen strampelten, die Tür ging etwas weiter auf, und Sakussai stürmte ins Freie.
    »Halt!«, schrie Bubenzow. »Keine Bange, Tantchen, ich fange ihn.«
    Zu dritt – Bubenzow, Pelagia und Tanja – liefen sie in den Korridor. Der weiße Welpe war schon am anderen Ende. Als er seinen Ausbruch hinreichend gewürdigt sah, kläffte er triumphierend und verschwand um die Ecke.
    »Er läuft in den Park!«, rief Tanja. »Die Tür steht offen!«
    Sakussai lief schneller als seine Verfolger, er schlüpfte auf die Veranda, und Pelagia sah gerade noch das weiße Bällchen von der Treppe in die Dunkelheit springen.
    »Wir müssen ihn schnell fangen, sonst wird Tantchen verrückt«, sagte Bubenzow besorgt, dann kommandierte er militärisch: »Du, wie heißt du gleich, du gehst nach links, die Nonne nach rechts, ich in der Mitte. Ruft die anderen, damit sie mitsuchen. Vorwärts!«
    Gleich darauf war die schläfrige Ruhe des Parks dahin, denn es wurde vielstimmig nach dem Flüchtling gerufen.
    »Sakussaichen!«, rief Pelagia.
    »Sakussai, hierher, du dummes Tier!«, schrie Tanja hinter einem Himbeergestrüpp mit hoher Stimme.
    »Herrschaften, Sakussai ist entwischt!«, informierte Bubenzow in munterem Kavalleristentenor die verstreuten Spaziergänger im Park.
    Die zögerten nicht, sich zu melden.
    »Au!«, rief Pjotr Georgijewitsch von weitem. »Er entkommt uns nicht, der Quälgeist! Wir finden ihn und bringen ihn um!«
    »Fasst ihn, fasst ihn!«, hetzte Krasnow aus dem Birkenwäldchen. »Miss Wrigley, ich gehe auf die Lichtung, und Sie suchen dort!«
    Überall knackten Zweige, tönten fröhliche Stimmen, schallte Gelächter. Es begann das übliche, zum Ritual gewordene Spiel.
    Schwester Pelagia starrte in die Dunkelheit und horchte, ob nicht irgendwo das bekannte Winseln ertönte. Einige Zeit später, zehn Minuten vielleicht, schon nahe am Flussufer, erblickte sie vorn etwas Weißes. Sie beschleunigte den Schritt – er war es, Sakussai. Er war wohl vom Herumlaufen ermüdet und hatte sich unter der halb vertrockneten kleinen Espe hingelegt, gleich neben dem englischen Rasen.
    »Da bist du ja!«, rief Pelagia leise und dachte nur daran, den Ausreißer nicht zu erschrecken, sonst mussten sie ihn die halbe Nacht im Unterholz suchen.
    Im Gebüsch raschelten hastige Schritte, da eilte noch jemand hierher.
    Die Nonne schlich zu dem Welpen, bückte sich und griff mit dem Siegesruf »Ich hab ihn!« nach den runden Flanken.
    Sakussai gab keinen Laut von sich und rührte sich nicht.
    Pelagia hockte sich hin. Ihr Herz krampfte sich zusammen, ihr wurde eng in der Brust und sehr heiß.
    Der Kopf des Welpen war seltsam platt. Im Gras lag ein großer flacher Stein, darauf blinkte im Mondlicht ein feuchter Fleck von anklebender nasser Erde. Auch die Erdmulde war zu sehen, aus der der Stein herausgehoben worden war.
    Sakussais Schnäuzchen sah im Tode lang und traurig aus. Jetzt hatte er wirklich Ähnlichkeit mit einem Engelchen.
    Die Schritte im Gebüsch raschelten noch immer, aber sie kamen nicht näher, sondern entfernten sich, wurden leiser. Erst jetzt ging Pelagia auf: Jemand eilte nicht hierher, sondern von hier weg.

Angst
    Marja Tatistschewa lag im Sterben. Schon zu Beginn der Nacht, als sie aus Tanjas wildem Geheul erkannte, was geschehen war, verlor sie die Sprache. Sie lag auf dem Rücken, röchelte, starrte mit

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