Al Wheeler und das Callgirl
»Zwanzig
Minuten nach Mitternacht.«
»Dann war das eine
Marathon-Leistung«, bemerkte sie milde.
Ich stand auf und ging zum
Telefon. Der Diensthabende brauchte diesmal etwas länger.
»Hier ist noch einmal Wheeler«,
sagte ich zu ihm. »Ist Sergeant Polnik schon zurückgekehrt ?«
»Noch nicht, Lieutenant.«
»Wann ist er weggefahren ?«
»Gleich nachdem Sie das letztemal angerufen haben. Können wir was für Sie tun, Lieutenant ?«
»Im Augenblick nicht, danke«,
erwiderte ich. »Rufen Sie mich an, sobald er gekommen ist, ja ?«
»Selbstverständlich,
Lieutenant.« Seine Stimme klang äußerstmilde. »Unter welcher Nummer sind Sie zu
erreichen ?«
»Unter der meiner Wohnung«,
knurrte ich. »Unter welcher denn sonst?«
»Nichts für ungut, Lieutenant.«
Die Stimme klang noch milder. »Es ist nur beim Nachtdienst üblich, daß wir uns
bei Ihnen erkundigen, unter welcher Nummer Sie nach Mitternacht erreichbar sind .«
»Da steckt doch bestimmt mehr dahinter«,
sagte ich mißtrauisch.
»Na ja, wie das so ist — wenn
sich eine weibliche Stimme meldet, weiß man, daß man die richtige Nummer hat .«
»Wahnsinnig komisch«, brummte
ich. »Wie heißen Sie ?«
»Stevens, Lieutenant.«
Der Name kam mir vage bekannt
vor. Ein junger Kerl mit Collegebildung, der zum Phänomen der Musterbeamten
gehörte. Er war wie geschaffen für eine Blitzkarriere, es sei denn, er war klug
genug, in eine andere Branche überzuwechseln, in der man ihn wirklich gut
bezahlte.
»Ich glaube, wir haben eine
gemeinsame Freundin«, sagte ich in kollegialem Ton. »Habe ich Sie nicht neulich
abends mit einer gutgewachsenen Puppe namens Avril Jones gesehen ?«
»War das Montag oder Dienstag abend , Lieutenant ?«
»Dienstag.«
»Nein, Sir .« Die Stimme war seidenweich. »Die gutgewachsene Puppe war eine Kleine namens
Toni del Guardo .«
»Na, so was«, sagte ich in
ehrfürchtigem Ton, wandte den Kopf leicht vom Hörer ab und brüllte: »He, Toni —
ist das nicht vielleicht eine kleine Welt ?«
Ich legte auf, drehte mich um
und sah in ein paar ernsthafte graugrüne Augen, die mich über die Rückwand der
Couch hinweg betrachteten.
»Ich hatte den Sergeant ganz
vergessen- tut mir leid«, sagte sie ruhig.
»Wie ich schon sagte,
bestenfalls braucht er für die Fahrt neunzig Minuten, hin und zurück, und das
trifft nur zu, wenn alles wie am Schnürchen klappt«, sagte ich. »Das wäre eine
Rekordleistung. Er kann durch eine ganze Menge unvorhersehbarer Kleinigkeiten
auf gehalten worden sein .«
»Du machst dir Sorgen«, sagte
sie.
»Noch nicht«, knurrte ich.
»Wenn er innerhalb der nächsten Stunde nicht zurück ist, dann mache ich mir
Sorgen .«
»Du bist ein wundervoller
Liebhaber, aber ein miserabler Lügner, Al, mein Liebling«, sagte sie ruhig.
»Ich werde mich anziehen, und du kannst mich unterwegs vor dem Hotel absetzen .«
Ich hielt rund zwanzig Minuten
später vor dem Starlight Hotel. Moira Arthur stieg
aus und streckte dann den Kopf zu meinem Wagenfenster herein.
»Hoffentlich ist mit deinem
Sergeant alles in Ordnung .« Sie lächelte. »Es war ein
grandioser Abend, aber wie alles mußte er ja wohl mal zu Ende gehen. Ich habe
bekommen, was ich gewollt habe, und du hoffentlich auch. Also nochmals danke .«
Sie verschwand im Hotel, und
ich fuhr in Windeseile los. Es war eine mondhelle Nacht, und dank des späten
Zeitpunkts herrschte so gut wie kein Verkehr. Ich entschied, daß die
Geschwindigkeitsbegrenzung von neunzig Kilometern eine Ausgeburt meiner
Fantasie sei und ich sie deshalb getrost ignorieren könnte. Das Summen unter
der Motorhaube wurde schnell zu einem Dröhnen, und es dauerte nicht lange, bis
die Tachonadel der roten Zone am falschen Ende der Skala zustrebte.
Die Straße in Richtung des Bald
Mountain lag im Dunkeln, das Mondlicht wurde vom Berg verdeckt. Nach rund fünf
Minuten tauchte die Abzweigung im Scheinwerferstrahl auf, und ich brauste
vorbei, bevor mir klar wurde, daß ich ungefähr fünfzig Stundenkilometer zuviel
Tempo auf der Mühle hatte. Die alte Canyon-Straße führte in Schlangenlinien um
den Fuß des Berges herum, und gleich nach der ersten Kurve geriet ich wieder in
helles Mondlicht. Ich verlangsamte die Fahrt bis beinahe auf Schrittempo und schaltete die Scheinwerfer aus. Ein paar
Sekunden später schaltete ich sie wieder ein. Zu dieser Nachtzeit konnte man
ohnehin, wie ich mißvergnügt realisierte, das Motorgeräusch
gut fünf Kilometer weit hören.
Ich fuhr um die nächste
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