Alanna - Das Lied der Loewin
erklärte ihr Trusty.
Alanna zog eine Grimasse. »Ich will nichts mehr davon hören.«
Aber in ihrem Kopf sagte eine Stimme: Er ist schon seit Jahren kein guter Freund mehr gewesen. Seit er Herzog Rogers Knappe wurde. Sie seufzte und schob den Gedanken beiseite. Damit wollte sie sich erst befassen, wenn es sich in ihrem Kopf nicht mehr so drehte. Und bis sie Beweise hatte, musste sie ihren Verdacht für sich behalten.
4
Krieg
Vor den Fenstern des Tanzenden Täubchens fiel in dicken Tropfen der Aprilregen vom Himmel, während Alanna den schmutzigen Zettel betrachtete, den ihr Georg übergeben hatte. Es wäre ihr lieber gewesen, dieser Zettel hätte nicht existiert.
»Besteht keine Möglichkeit, dass da ein Irrtum vorliegt?«, fragte sie ihren Freund.
»Nicht die geringste«, entgegnete er. »Ich habe ganz ähnlich lautende Berichte aus den Schlössern, in denen sich die Soldaten verborgen halten, und vom Obersten Schurken in der Hauptstadt Tusains erhalten. Herzog Hilam – König Ains Bruder – hält sich für einen Eroberer. Er mobilisiert das ganze Heer, und die vorderste Truppenspitze ist genau auf das Flusstal des Drell gerichtet. Da die Gebirgspässe offen sind ...« Er zuckte die Achseln. »Ich rechne damit, dass sie zwei Wochen brauchen, um zum rechten Flussufer vorzustoßen. Die dortige Festung wird einem Angriff kaum länger als eine Woche lang standhalten können.«
Alanna sah auf die winzige Karte. »Was für eine närrische Stelle, um einen Krieg auszutragen«, flüsterte sie. »Ringsherum sind Berge. Keiner von beiden wird Platz haben, sich zu rühren. Die Berge werden auch den Nachschub aufhalten
und die Lieferung von Versorgungsmaterial erschweren. Und viele Schlachten werden im Fluss ausgetragen werden!« Sie faltete die Karte zusammen und steckte sie unters Hemd. »Danke, Georg.«
»Ich wollte, ich hätte bessere Neuigkeiten.« Der Dieb berührte sanft ihr Kinn und zwang sie, den Kopf zu heben. Alanna errötete. Seit Jons Geburtstag vor fast einem Jahr hatte Georg sie nicht mehr geküsst, aber er zeigte ihr durch kleine, sanfte Berührungen und zärtliche Blicke, dass er immer noch hinter ihr her war.
Jonathan hatte einen ähnlichen Gesichtsausdruck, wenn er Delia anschaute. Dass Georg ihr derartige Aufmerksamkeit schenkte, jagte ihr Angst ein.
»Ich muss gehen«, sagte sie und nahm ihren Umhang.
»Na gut.« Er öffnete ihr die Tür. »Lass mich wissen, was unternommen wird.«
Alanna konnte sich ein Grinsen nicht verkneifen. »Sei nicht albern. Das erfährst du vermutlich noch vor mir.« Sie eilte hinaus in die Regennacht.
Sie fand Myles von Olau in seinen Gemächern, wo er ein altes Dokument übersetzte. Trusty, der ihr zuvor erklärt hatte, er wolle lieber vor einem warmen Kamin ein bisschen dösen, anstatt mit ihr im Regen in der Stadt umherzulaufen, hatte sich vor dem Feuer des Ritters zusammengerollt. Jetzt begrüßte er Alanna, indem er auf ihre Schulter hüpfte.
Sobald Myles Alanna sah, legte er seine Übersetzung beiseite. »Was ist passiert?«
Alanna zog die zusammengefaltete Karte unter ihrem Hemd hervor. Sie ließ Myles nicht aus den Augen, während sie das Papier auseinanderfaltete. »Ihr habt einige Freunde in der Stadt«, entgegnete sie leise. »Einen jungen Dieb namens
Marek. Einen alten Fälscher, den man den Gelehrten nennt.« Sie lächelte. »Die beiden sagen, Ihr wärt ein guter Saufkumpan. Das hätte ich ihnen auch sagen können.« Myles öffnete den Mund, um zu sprechen, doch Alanna schüttelte den Kopf. »Ich verlange nicht von Euch, dass Ihr es zugebt. Ich sage Euch lediglich, dass ich Marek, den Gelehrten und ihre Kameraden kenne. Ich bin mit dem Mann befreundet, der über sie regiert.«
»Mit diesem Dieb höchstpersönlich?«, flüsterte Myles. »Wie kommt denn das?«
»Es ist eine lange Geschichte, aber ich kenne ihn und die anderen schon seit Jahren. Letzten Sommer sagte ich Georg, dem Dieb, es gelinge uns nicht, verlässliche Informationen aus Tusain zu erhalten. Er bot seine Hilfe an.« Alanna reichte ihrem Freund die Karte. »Das gab er mir heute. Die kleinen roten Pfeile stehen für die Tusainer Legionen...«
Myles zählte. »Zwanzig Stück.« Er stieß einen Pfiff aus. »Wenn man pro Legion hundert Mann rechnet, dann sind es also zweitausend Infanteristen.«
»Die blauen Pfeile sind Einheiten. Sie bestehen aus jeweils zehn Rittern.«
»Also insgesamt hundertfünfzig.« Myles schaute auf die Karte und rieb sich müde die Stirn. »Und in diesen
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