Alanna - Das Lied der Loewin
gestört ist? Und wieso habe ich solche Kopfschmerzen, wenn ich eine Dämonin bin?« Sie nahm frisches Wasser und putzte sich die Zähne.
»Sind im Norden alle Frauen Kriegerinnen?«, fragte Kourrem. Kara tischte das Frühstück auf: Früchte, gekühlten Fruchtsaft, kleine Brote und Käse. »Seid ihr alle Zauberinnen und Dämoninnen?«
Alanna fuhr sich über den schmerzenden Kopf. Erwartete man etwa von ihr, dass sie all das aufaß? »Wohl kaum«, entgegnete sie Kourrem. Unbeholfen ließ sie sich vor dem niedrigen Tisch nieder und überkreuzte die Beine vor sich. Plötzlich kam ihr ein Gedanke. »Wollt ihr nicht mit mir frühstücken? Ich würde mich freuen über eure Gesellschaft.« Das entsprach nicht ganz der Wahrheit, aber vermutlich waren die Mädchen viel hungriger, als sie es im Augenblick war.
Kourrem brauchte man nicht zu drängen, doch Kara zögerte. »Es gehört sich nicht«, sagte sie. Sie blickte Alanna aus ihren Augen über dem Gesichtsschleier unsicher an.
»Natürlich gehört es sich«, sagte Alanna entschieden. »Ich bin eine Frau oder etwa nicht? Zumindest war ich eine, als ich das letzte Mal nachsah.«
Darüber musste sogar Kara lächeln. Beide Mädchen legten die Schleier ab. Kara war älter, feingliedrig und dunkeläugig, ihr Mund wurde von zwei tiefen Grübchen eingerahmt. Kourrem hatte verschmitzte, graubraune Augen und ein
spitzes kleines Kinn. Selbst für heranwachsende Jugendliche waren beide zu dünn, und ihre Kleider waren von schlechter Qualität. Sofern sich Alanna noch richtig erinnerte an das, was ihr Myles beigebracht hatte, waren beide alt genug, um verheiratet zu sein. Die Wüstenbewohner schlossen für ihre Töchter schon Eheverträge ab, sobald sie im Alter von zwölf ihren ersten Schleier anlegten. Warum waren die beiden noch ledig? Als sich Alanna ein Brot nahm, bedienten sich die beiden Mädchen gierig.
»Wenn die nordischen Frauen keine Kriegerinnen sind«, fuhr Kourrem mit vollem Mund fort, »wie kommt es dann, dass du Ritterin geworden bist?«
Alanna lächelte gezwungen. »Leicht war es nicht«, gab sie zu. Als sie merkte, dass die beiden gespannt lauschten, sagte sie mit einem Seufzer: »Ich war zehn. Meine Mutter starb bei meiner Geburt und der meines Zwillingsbruders, unser Vater war Gelehrter, und seine Arbeit war ihm wichtiger als wir. Coram hat uns aufgezogen, zusammen mit der alten Maude, unserer Dorfheilerin. Thom, mein Zwillingsbruder, hatte überhaupt nichts übrig für Jagd und Bogenschießen, ganz im Gegensatz zu mir. Er befasste sich lieber mit Zaubersprüchen. Als sich unser Vater entschloss, es sei nun an der Zeit, mich ins Kloster zu schicken, wo ich lernen sollte eine Dame zu werden, da hatte ich überhaupt keine Lust. Und Thom wollte nicht in den Palast und Ritter werden.«
»Also habt ihr die Rollen getauscht«, flüsterte Kourrem. Karas Augen waren weit aufgerissen.
Alanna nickte.
»Thom fälschte Briefe von unserem Vater. Er reiste in die Stadt der Götter, und ich kam als sein Zwillingsbruder Alan in den Palast.«
»Hat sich dein Bruder als Mädchen verkleidet?«, wollte Kara wissen.
Alanna lachte. »Natürlich nicht. Die Töchter der Göttin im Kloster unterrichten die Jungen, die zu Priestern oder Zauberern ausgebildet werden sollen, bis zum Alter von etwa zwölf. Anschließend kam Thom zu den Mithran-Priestern, um dort seine Studien zu vollenden. Erst vor ein paar Monaten verließ er sie. Er ist der jüngste Mithran-Meister, den es gibt.«
»Da muss er ein mächtiger Zauberer sein«, hauchte Kara.
»Daran besteht kein Zweifel«, entgegnete Alanna bedächtig. Und noch dazu ist er verdammt ehrgeizig, fügte sie in Gedanken hinzu.
»Hast du die ganzen Jahre als Junge gelebt?«, wollte Kourrem wissen. »Und keiner ahnte etwas? Keiner wusste Bescheid?«
»Einer meiner Lehrer, Sir Myles von Olau, ahnte es. Ich musste nämlich Magie anwenden, um Prinz Jonathan zu retten, als er am Schwitzfieber erkrankte, und Myles war mit dabei. Er muss etwas gesehen haben, was mich verriet. Er wusste es seit Jahren, aber sagte er keinem ein Wort. Und als ich einmal eine Heilerin brauchte, verriet ich es Georg Cooper.«
»Wer ist dieser Georg Cooper?«, fragte Kourrem.
Alanna lachte. »Der König der Diebe.«
»Du hast einem Dieb dein Geheimnis verraten?« Kara schnappte nach Luft.
»Ich wusste, dass ich ihm vertrauen konnte. Er war immer gut zu mir.«
»Wusste sonst noch jemand davon?« Kourrem hatte wieder den Mund voll.
»Prinz Jonathan fand es
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