Alanna - Das Lied der Loewin
er ihn mir übergab. Ich hab gehofft, du hättest genug Verstand nicht mehr mit solchen Kerlen zu verkehren.«
»Georg!«, sagte Alanna glücklich. »Geht es ihm gut? Ist er – na ja, droht ihm auch keine Gefahr?«
»Prächtig geht es dem«, sagte Coram mürrisch. »Wann wirst du endlich aufhören, dich mit so ’nem Schurken abzugeben?«
Alanna lächelte schelmisch. »Sobald du mit dem Trinken aufhörst.« Sie lachte, als Coram fluchte. Dann kehrte sie in ihr Zelt zurück, um ihre Post zu lesen.
Georgs Nachricht war kurz, doch das, was sie enthielt, ließ Alanna erröten. Dass ihr langjähriger Freund sie liebte, wusste sie. Auch ihre Gefühle für ihn waren nicht nur rein freundschaftlicher Natur, bloß hatte Jonathan immer an erster Stelle gestanden. Das war Georg klar, und er verstand es auch, doch an dem, was er schrieb, konnte sie ablesen, dass er immer noch hoffte.
Myles’ Brief war lang, im Plauderton geschrieben und lieferte Neuigkeiten von allen am Hof, ob es nun Edle oder Bedienstete waren. Mehr als jeder Edle, den Alanna kannte, war Myles gut Freund mit allen und nicht nur mit jenen, die gesellschaftlich auf einer Stufe mit ihm standen. Er konnte ihr ebenso detailliert über die Köchin und Stefan, den Pferdeknecht, berichten wie über den König und Jonathan. Erst als sie den Brief noch ein zweites Mal las, fiel ihr auf, dass er Thom nicht erwähnte.
Thoms Brief machte Myles’ Versäumnis mehr als wett:
Liebe Alanna, Coram erzählte mir, du seiest von einem Haufen unzivilisierter Wüstenbewohner »an Kindes statt« angenommen worden. Komische Sachen machst du! Er sagt, du wärst nun »ein Mann des Stammes« – was du wohl schon immer wolltest, wie ich vermute. Nein, du brauchst jetzt keine beleidigte Miene zu ziehen.
(Was Alanna tatsächlich tat.)
Mir gefällt es hier. Alle sind sehr höflich, und in der Bibliothek gibt es einige Klassiker der Zauberkunst, die nicht mal meine Meister besaßen. Meine Ausbildung schreitet ausgesprochen schnell voran. Ich habe mich mit einigen Anhängern des verstorbenen Herzogs Roger befreundet, unter anderem auch mit der entzückenden Delia von Eldorn. Die Dame an sich interessiert mich ja nicht, aber möglicherweise weiß sie, wo ein Teil der geheimsten
Manuskripte Rogers versteckt ist. Entsprechende Andeutungen machte sie, und ich habe das Gefühl, dass sie die Wahrheit sagt.
Ich genieße den Luxus hier: exotische Speisen, schöne Kleider, Bedienstete, die mich versorgen. Irgendwann will ich auf Reisen gehen, aber erst, wenn es hier nichts mehr für mich zu lernen gibt. Versuch, dich nicht allzu sehr über mich zu ärgern!
In Liebe, Thom
Kurz nach Corams Rückkehr holte Mari die Hebamme des Stammes, Farda, damit sie Frieden schloss mit der neuen Schamanin. Schon Minuten später waren Alanna und Farda dabei, geheime Heilrezepte auszutauschen. Am nächsten Tag übernahm es die Hebamme, Alannas Lehrlinge in der Kräuterkunde zu unterrichten, und von diesem Augenblick an söhnten sich die meisten Frauen mit Alanna und ihren jungen Nachfolgern aus. Einige ließen sich nicht freundlich stimmen und betrachteten die neuen Sitten auch weiterhin mit Argwohn, aber sie waren in der Minderheit. Da Alanna wusste, wem sie die Herzlichkeit zu verdanken hatte, die man ihr neuerdings entgegenbrachte, versuchte sie Mari Fahrar danke zu sagen. Die alte Frau wischte mit einer Handbewegung ihre Worte weg.
»Alle Dinge wandeln sich«, erklärte sie Alanna. »Es tut den Männern nicht weh, wenn sie erfahren, dass auch Frauen Macht haben.«
Alanna musste lachen. Erst als Mari und Farda in ihr Leben getreten waren, hatte sie begriffen, dass die Frauen des Stammes ihren Männern keine Furcht, sondern eine liebevolle Respektlosigkeit entgegenbrachten. Manchmal hatte sie das Gefühl, als sei sie diejenige, die unterrichtet wurde, nicht ihre Schüler.
Kara begann gerade damit, an ihrer Kontrolle über den Wind zu arbeiten, als die Männer des Dorfes Jagd auf nächtliche Plünderer machen mussten. Banditen aus den Hügeln hatten nämlich eine Schafherde geraubt, mitsamt dem Jungen, der sie hütete. Alanna und Coram waren gerade damit beschäftigt, die Jungs im Bogenschießen zu unterrichten, als die Wachen erneut Alarm schlugen.
Coram fluchte. »Diese Kerle haben unsere Männer absichtlich fortgelockt!« Er drehte sich zu den Jungs um. »Jetzt wollen wir mal sehen, wie es um eure Treffsicherheit bestellt ist, wenn es um bewegte Ziele geht.«
»Was ist mit unseren
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