Alanna - Das Lied der Loewin
das vom Kopf des Jungen ausging, ließ sie insgeheim eine Grimasse ziehen. Er hatte eine schwere Gehirnerschütterung. Trotzdem, es hätte viel schlimmer kommen können. Der Knochen war nicht
verletzt, auch lag keine Gehirnblutung vor. Sie drückte dem Jungen die Hand. »Dein Kopf hat einen gewaltigen Schlag abgekriegt«, erklärte sie ihm, denn ihr war klar, dass er keine Ahnung hatte, was »Gehirnerschütterung« bedeutete. »Eine Weile wirst du dich schwindelig fühlen, dir wird übel sein im Magen und du wirst Mühe haben aufrecht zu stehen – also versuch es lieber erst gar nicht. So. Ich helfe dir jetzt beim Einschlafen, damit ich deine Wunde in aller Ruhe nähen kann. In Ordnung?« Hassam nickte. Seine großen Augen waren vertrauensvoll auf sie gerichtet. Sie legte ihre Hände noch einmal auf die seinen, dann fühlte sie nach dem warmen Feuer ihrer Gabe. Diesmal floss es so sanft und friedlich durch ihre Arme, dass sie sich fast ebenso entspannt fühlte wie der Junge, der sofort einschlief. Einen Augenblick lang hielt sie seufzend inne, bevor sie sich zwang, wieder ihre Umgebung wahrzunehmen. Das Mädchen war mit den Dingen zurückgekehrt, um die sie gebeten hatte. Geschickt fädelte Alanna ungefärbtes Garn durch ein Nadelöhr, warf dem zusehenden Ishak einen Blick zu und sagte: »Mach dich nützlich, ja? Halt ihn fest.«
Der junge Bazhir gehorchte. Sanft, aber fest hielt er den Kopf des schlafenden Jungen zwischen den Händen. »Wird es nicht wehtun?«, fragte er besorgt, als Alanna die Nadelspitze prüfte.
»Autsch! Jetzt nicht mehr. Ich habe meine Gabe benutzt, um ihn einschlafen zu lassen. Halt ihn gut fest!« Rasch machte sie ihre Stiche, und wieder dankte sie den Göttern für die Unterweisung, die ihr die Palastheiler im Verlauf des Krieges gegen Tusain erteilt hatten. Als sie fertig war, schnitt sie den Faden durch, trug Heilsalbe auf und verband die Wunde mit sauberen Binden. Schließlich schob sie Ishak
beiseite und legte ihre eigenen Hände um den Kopf des Jungen. Hassam rührte sich nicht. Sein Schlaf wurde noch tiefer, als sie noch einmal ihre Gabe benutzte und den Schaden zurückdrängte, den die Axt des Mannes aus den Hügeln angerichtet hatte. Entfernt hörte sie Trusty hinter sich miauen, aber sie war voll und ganz auf ihre Arbeit konzentriert. Als sie die Natur unterstützt hatte, so weit es ihr möglich war, ließ sie Hassam in einen wirklichen Schlaf versinken. Mit ein bisschen Glück würde er bald wieder gesund. Und bestimmt gefiel den Mädchen die interessante Narbe, die er zurückbehalten würde.
In ihren Ohren brauste es, als sie sich erhob. Da sie immer noch an Hassams Verletzung denken musste, nahm sie zuerst an sie sei bloß zu schnell aufgestanden. Dann stieg aus ihrer Mitte das kranke, schwache Gefühl auf. Sie fluchte, als die Beine unter ihr nachgaben. In der Aufregung des Kampfes, bei ihrem Versuch das Kristallschwert unter Kontrolle zu halten und mit ihrer Sorge um die jungen Stammesgenossen hatte sie sich übernommen, hatte mehr von ihrer Gabe benutzt, als sie verbrauchen durfte.
Ich werd’s nie lernen, dachte sie reumütig, als sie in Ohnmacht fiel.
Es war vollkommen dunkel, als sie erwachte. Trusty kreischte ihr eindringlich direkt ins Ohr, eine schlanke Hand hielt sie an der Schulter gepackt und rüttelte sie. Müde schlug sie die Augen auf. Ohne viel Erfolg versuchte sie, ihre Umgebung wahrzunehmen. »Es wäre wirklich besser, du ließest mich schlafen«, murmelte sie dann. »Ich habe mich nur ein bisschen übernommen, das ist alles.«
»Trusty befahl mir, dich zu wecken«, entschuldigte sich Kara. »Er sagt, es sei etwas mit Ishak.«
Alanna packte die Angst. Mühsam setzte sie sich auf. Eine Müdigkeit, die ihr bis in die Knochen ging, zerrte an ihr wie Ketten, die sie zu Boden ziehen wollten. »Ishak? Oh nein, was treibt er denn jetzt schon wieder?« Als sie spürte, dass der Glutstein an ihrem Hals warm – nein, heiß! – war, bekam sie noch mehr Angst.
Er hat das Schwert!, rief Trusty. Während sich der Stamm mit der Stimme besprach, kam er her und nahm sich das Schwert! Alanna kam taumelnd auf die Beine, ihr Herz pochte wie wild. In ihrem Kopf drehte sich alles. Sie hielt ihn mit beiden Händen fest und zwang sich, die Augen offen zu halten. Für eine Kraftprobe war sie nicht in der richtigen Verfassung. Sie packte den Glutstein und flehte die Göttin an ihr Ishak zuliebe beizustehen. Kraft durchfloss sie; ihre zitternden Glieder kamen zur Ruhe.
Sie
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