Alanna - Das Lied der Loewin
erwartet von dir, dass du für den Rest deines Lebens bei uns bleibst. Dass du so lange hier verweiltest, ist eine Ehre für unser Volk. Und du kannst ja jederzeit wiederkommen.«
Alanna war, als habe man ihr eine schwere Last von den Schultern genommen. »Wenn es so ist, nehme ich dein Angebot mit Freuden an«, sagte sie. »In fünf Tagen ist Vollmond – dann können wir die Aufnahmezeremonie der Mädchen abhalten.«
»Ausgezeichnet.« Umar Komm nickte. »Ich werde die Frauen des Stammes anweisen ein Festmahl vorzubereiten, an das wir noch lange denken werden.« Einen Augenblick lang schwieg er, dann zog er sie beiseite. »Wie krank ist die Stimme der Stämme? «
Alanna warf einen Blick zu Ali Mukhtab hinüber. Er stützte sich auf einen langen Stab und unter der Sonnenbräune war sein Gesicht grau. »Warum fragst du?«
»Die Schamanen tuscheln untereinander. Wir haben Augen und können damit sehen. Er wird sterben, habe ich recht?«
Alanna nickte.
»Unser Volk schöpft langsam Verdacht. Er wirkt alt, wenn wir Zwiesprache mit ihm halten. Und müde. Sein Bewusstsein
ist diszipliniert, er lässt nichts anderes durchdringen, aber wenn du gedankliche Verbindung mit ihm aufgenommen hättest, als er noch im besten Alter war ...«
»Ich habe noch nie mit der Stimme auf gedanklichem Weg Zwiesprache gehalten«, gestand sie.
Umar Komm lächelte. »Natürlich nicht. Du hast Angst davor, du könntest dich verlieren, wenn du dich einem anderen hingibst – auch wenn du dich in Liebe hingibst wie deinem nordischen Prinzen.«
»Weiß denn hier jeder über meine Angelegenheiten Bescheid?« , fragte sie in scharfem Ton.
Gerade noch rechtzeitig dachte sie daran, ihren Ton zu mäßigen.
»Die Bazhir haben einen klaren Blick«, entgegnete der Schamane. »Und die Edlen aus dem Norden lieben dich alle beide, jeder auf seine Art. Es wäre eine schöne Sache für unser Volk, wenn sich die Frau-die-wie-ein-Mann-reitet mit der Stimme der Stämme verehelichte.«
»Und wenn nicht?«, fragte sie ruhig.
Er sah überrascht aus. »Nun ja, dann bist du immer noch die Frau-die-wie-ein-Mann-reitet und er immer noch die Stimme. Natürlich nur, falls er den Ritus überlebt.«
Alanna bat darum, sich entfernen zu dürfen, da sie sah, dass Ali Mukhtab nach drinnen gehen und sich hinlegen musste. Ja, richtig, dachte sie sich. Falls.
An diesem Abend nahm Halef Seif sie nach dem Essen beiseite. »Sir Myles von Olau sagte mir, er hege den Wunsch dich als Erbin in seinem Zelt aufzunehmen«, sagte er. Alanna nickte. Ein Lächeln erhellte das Gesicht des Häuptlings. »Ich komme mir komisch vor, wenn ich sage, dass er dich zu
seiner Tochter machen will, denn in unserem Volk kann eine Tochter nicht alles erben, was der Vater besitzt. Er sagte mir, ihr wärt schon seit langem Freunde.«
»Alles, was ich über die Bazhir wusste, bevor ich herkam, hat er mich gelehrt«, sagte sie. »Überhaupt hat er mir während meiner Jugendjahre viele nützliche Dinge beigebracht. Ich fühle mich geehrt, dass er mich an Kindes statt annehmen will.«
»Viele eigenartige Dinge sind dir seit deiner Geburt passiert«, sinnierte Halef. »Dass du nun, wo du erwachsen bist, einen Vater findest, ist nicht seltsamer als alles andere. Wünschst du, dass die Zeremonie heute Abend abgehalten wird?«
»Heute Abend? «
»Warum warten? Du hast deinen Stamm um dich und deinen Prinzen, der dir seinen Segen geben wird ...«
Alanna musste schwer schlucken. »Ja, natürlich, warum nicht heute Abend?«, sagte sie tapfer. »Äh – wird es ablaufen wie damals, als ich in den Stamm aufgenommen wurde?«
»Genau so«, bestätigte er, während er sie wieder in den Lichtkreis führte, der das Feuer umgab. Alanna sah die Narbe an ihrem Handgelenk an, die noch von ihrer Aufnahmezeremonie stammte, und verzog das Gesicht. Sie war eitel genug nicht noch mehr Narben zu wollen, als sie schon hatte, aber vernünftig genug, um zu wissen, dass sie sich bei dem Leben, das sie sich ausgesucht hatte, vermutlich noch viele weitere einhandeln würde. Halef Seif hob die Hände, damit ihm alle ihre Aufmerksamkeit schenkten. Myles erhob sich und klopfte sich das Hinterteil seiner Kniehose ab.
»Heute Abend wünscht der Nordländer namens Myles von Olau, Freund der Bazhir, Alanna vom Stamm des Blutigen Falken als Tochter und Erbin in sein Zelt zu rufen.« Er
wartete, bis das überraschte Gemurmel verstummte, bevor er weitersprach. »Nach unserem Gesetz muss dieser Ritus von sieben Männern
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