Alanna - Das Lied der Loewin
sprach, spürte Alanna eine Kraft in ihren Worten, die ganz anders war als die Doi-Magie, die sie zuvor gefühlt hatte. Diese hier war stärker und ursprünglicher.
»Er wartet, der alte Chitral.« Mi-chis Stimme war rau. »Er weiß, dass du kamst, um seinen Schatz zu holen. Er wird ihn dir nicht überlassen, wenn du seiner nicht würdig bist.« Alannas Freunde stellten sich rundherum und horchten. »Meinst du, dass es anders wird, wenn du das Ende des Sturms abwartest, bevor du gehst? Er hat noch mehr, was er dir entgegenschleudern kann.«
»Ich werde doch nicht versuchen, den Pass zu bezwingen, solange der Schneesturm wütet!«, protestierte Alanna.
»Dann ist dein Wunsch oder was dich antreiben mag, nicht stark genug.« In Mi-chis Augen lag Spott. »Täusch dich nicht, Heldin aus dem Flachland. Chitral bekämpft dich mit seinem Schnee und seinem Wind. Alle, die gegen ihn antreten, müssen nach seinen Regeln kämpfen. Oder sie müssen es lassen.« Die Doi ließ Alannas Hände fallen und sah Liam an.
»Drachenmann, bringst du uns dein Kätzchen, um es auf die Probe zu stellen? Möglicherweise wirst du die ausgewachsene Katze nicht mehr haben wollen.«
»Ich bringe Alanna nirgendwohin, weise Frau. Sie wählt sich ihren Weg selbst.«
Mi-chi erhob sich zitternd. Einer ihrer Begleiter kam, um sie zu stützen. »Vergiss es nicht, Drachenmann.« Die Wahrsagerin krächzte vor Erschöpfung. »Wie du ist sie eine Meisterin, nur auf andere Weise. Immer auf andere Weise.« Nun führten die anderen Doi die Frau weg in ihre Zimmer.
Alanna rieb sich die Hände an den Hosen. Sie kribbelten immer noch von Mi-chis Zauberkraft, die durch sie gesprochen hatte. »Was sie sagte, hörte sich – ach, ich weiß nicht. Eine Heldin bin ich jedenfalls keine. Noch nicht.«
Buri legte einen Arm um Alannas Schultern. »Freut mich, das zu hören. Komm mit nach draußen in die Ställe, dann üben wir den Trittkampf.«
Das Schlimmste war, dass sie Mi-chi oder dem, was durch die Wahrsagerin gesprochen hatte, Glauben schenkte. Die Woge der seltsamen Zauberkraft, die sie gespürt hatte, konnte sie unmöglich ignorieren. Ich möchte wissen, was da oben in dem Pass darauf wartet, dass ich mir das Juwel holen komme, sagte sie sich immer wieder, während dieser Tag zu Ende ging und sich der nächste vorwärtszuschleppen begann. Draußen heulte immer noch der Sturm, und es sah nicht so aus, als wolle er nachlassen. Vielleicht sollte ich dieses verdammte Juwel einfach vergessen und nach Hause zurückgehen? Aber an diesem Punkt sträubte sich etwas in ihr. In ihrem Leben musste es schon vorgekommen sein, dass ihr nicht gelungen war zu vollenden, was sie begonnen hatte; aber sie konnte sich nicht daran erinnern, hatte auch keine Lust dazu. Dass ihre Suche nach dem Kleinod als etwas in ihrer Erinnerung
blieb, was sie begonnen und aufgegeben hatte, wollte sie nicht. Fast gegen ihren Willen begann sie sich darauf zu besinnen, was sie als Kind in Trebond vom Überleben im Schnee gewusst hatte.
An ihrem dritten Tag im Gasthaus, kurz vor Eintritt der Dämmerung, sah sie gerade durch eine Ritze im Fensterladen hinaus, als sie spürte, wie jemand hinter sie trat. Sie spürte, dass es Liam war, und drehte sich nicht um. »Ich glaube, der Sturm lässt nach«, sagte sie in dem Versuch sich selbst Hoffnung zu machen.
Liam packte sie fest an den Schultern und drehte sie um. »Ich möchte dir raten, nicht mal dran zu denken «, sagte er. »Und reiß jetzt nicht die Augen so auf und frag mich, was ich damit sagen will. Ich bin nicht Coram. Bei mir funktionieren deine Tricks nicht.«
»Vielleicht lässt es Coram zu, dass meine ›Tricks‹ bei ihm funktionieren. Und ich weiß wirklich nicht, wovon du redest!«
»Warum sagt mir dann der Gastwirt, dass du dich nach Schneeausrüstung erkundigt hast?«, fragte der Drache und schüttelte sie leicht. »Meinst du, du bist nicht sterblich? Dieser Schneesturm ist tödlich! Ganze Herden sind da draußen erfroren, und zwar an Ort und Stelle. Vielleicht konnte dich diese Zaubergabe, die du hast, schützen, wenn in Tortall der Wind mal ein bisschen blies. Aber hier bist du am Dach der Welt und wirst sterben. Ich würde es niemals versuchen, und dir verbiete ich es!«
Jahrelange Übung in Selbstbeherrschung hielt sie davor zurück, ihm eine Ohrfeige zu geben, obwohl sie noch nie so große Lust dazu gehabt hatte wie jetzt. »Du weißt nicht, wozu ich fähig bin, Eisenarm.« Ihre Stimme klang eisig, als
sie sich nun
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