Alanna - Das Lied der Loewin
ihn! Es ist nicht in Ordnung, dass ein Mensch einem anderen so wehtun darf!«
»Du machst ihm Angst.« Thayet schloss die Tür hinter
sich. »Gerade jetzt, wo er dachte, er verstünde dich, tust du etwas Neues. Er kann dich nicht in eine schöne kleine Schublade stecken, so wie uns.«
»Ich wollte nie etwas Neues für ihn sein!« Alanna fuhr sich mit dem Ärmel über die Augen und knöpfte ihre Hose zu. »Ich wollte nie überhaupt etwas für ihn sein! Es ist einfach passiert!«
Thayet knöpfte Alanna das Hemd zu. »Ich hab das Gefühl, es ist auch für ihn einfach passiert. Das ist es, was ihm Angst macht. Liam gehört zu den Männern, die alles gern unter Kontrolle haben – vor allem sich selbst.«
Alanna starrte die Prinzessin an. Fürchtete sich Liam deshalb vor Magie? »Was ist denn Schlimmes daran, sich in mich zu verlieben? Und was hat mein Kleid damit zu tun?«
Thayet lächelte. »Alanna, als du dieses Kleid trugst, sah er die Tochter eines Edlen – eine Frau, deren Stammbaum bis ins Goldene Buch zurückreicht. Liam ist von niederer Herkunft.«
»Wenn mich das nicht stört, wieso dann ihn?«
»Er ist sehr stolz.« Thayet tauchte ihr Taschentuch in Alannas Waschschüssel und rieb ihr das Gesicht ab. »Manche Frauen können weinen und noch hübsch dabei aussehen«, sagte sie trocken. »Du und ich gehören nicht dazu.«
»Ich weiß«, schniefte Alanna. »Ich werde rot und fleckig. Als mir Georg damals sagte, er sei – na ja, interessiert an mir – da hat es mich gestört, dass er ein Bürgerlicher ist. Ich sagte sogar ›Gleich und Gleich gesellt sich gern‹ oder so etwas Ähnliches. Georg war das egal. Und Liam? Wieso kümmern den Shang-Drachen gesellschaftliche Unterschiede?«
Es klopfte leise an der Tür. Liam kam herein.
»Ich wollte gerade gehen«, sagte Thayet, zwinkerte Alanna zu, ging hinaus und machte die Tür hinter sich zu.
Liam stand da und starrte zu Boden, während er sagte: »Du hättest dein Kleid nicht ausziehen sollen. Du siehst sehr hübsch darin aus. Ich glaube, manchmal hat man sich daran gewöhnt, eine Person nur auf eine bestimmte Art und Weise zu sehen.«
Das war alles, was sie als Entschuldigung zu erwarten hatte, das wusste sie. Alanna klopfte neben sich aufs Bett. »Ich mag Kleider«, sagte sie, als er saß. »Wenn du mit uns nach Tortall kommst, wirst du mich öfters so sehen. Dass ich Ritterin bin, heißt noch lange nicht, dass ich keine hübschen Sachen mag.« Dann fügte sie lächelnd hinzu: »Manchmal hab ich mich sogar angemalt.«
Auf seine verdutzte Miene hin erklärte sie: »Du weißt schon, Lippenstift und so. Liam, ich schäme mich nicht eine Frau zu sein.«
Zögernd berührte er Alannas Haar. »Das hatte ich auch nicht erwartet. Ich vergesse nie, Löwin, dass du eine Frau bist.« Sein Kuss war voller Leidenschaft. Alanna ließ es zu, dass er sie in seine Arme zog, doch sie dachte dabei: Wir müssten uns noch genauer darüber unterhalten, warum er so ärgerlich wurde. Ich glaube, im Bett wird diese Angelegenheit nicht geklärt. Liam war allerdings so zielstrebig, dass sie ihre Fragen wieder einmal beiseiteschob, um sie ein anderes Mal in Angriff zu nehmen.
Später, als sie sich gerade zum Abendessen anzogen, fragte sie: »Gibt es Löwinnen in Shang?«
Liam streckte sich und dachte nach. »Seit fünfzig Jahren nicht. Die Frauen ziehen Namen vor, die ihrer Meinung nach
nicht so auffallend sind – was bedeutet, dass es nur selten ›Löwinnen‹ und weibliche ›Drachen‹ gibt. Die Wildkatze, unsere Meisterin im Trittkampf, sagte immer, wenn die Männer unbedingt auffallen wollten, so sei das ihr Problem.«
»Ich hätte angenommen, dass Fabeltiere von Natur aus auffallend sind«, wandte Alanna ein. »Oder lasst ihr es überhaupt nicht zu, dass Frauen so weit aufsteigen?«
»Du müsstest mal versuchen sie zurückzuhalten!«, lachte er. »Zur Zeit gibt es drei Fabeltiere: mich, den Vogel Greif – auch ein Mann – und das Einhorn, Kylaia al Jmaa. Sie ist das schönste Wesen auf der Götter Erdboden: Sie besteht nur aus Seide, Stahl und Blitzen.« Er kniff sie in die Nase. »Zufrieden?«
Ihr Abendessen aßen sie zusammen in dem Zimmer, das sich Thayet und Buri teilten. Bisher hatten sie noch nicht genug innere Ruhe, um in den Gastraum hinunterzugehen. Eine seltsame Mischung aus Erregung und Angst erfüllte sie, aber keiner mochte darüber reden. Was sollten sie nun tun? Abwarten, bis der Chitral frei war?
So lange kann ich nicht warten, dachte
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