Alanna - Das Lied der Loewin
sah sie fragend an. »Sag mir, Schwesterherz, wann macht dein Drache eine anständige Frau aus dir?«
Sie zog eine Grimasse. Wenn er sich in ihre Angelegenheiten mischte, musste es ihm besser gehen, dachte sie sich. »Tut er nicht. Wir haben schon Schluss gemacht, bevor ich heimkam. Er hat was gegen Magie.«
»Ein dummer Mann. Und was ist mit Jonathan? Jedermann weiß, dass ihr ein Liebespaar wart, auch wenn er die Tugend in Person ist, was andere Dinge betrifft. Vielleicht sollte ich mal mit ihm reden. Nachdem er deinen Ruf verdorben hat, kann er dich nicht einfach im Stich lassen. Du trägst einen guten Namen ...«
»Ich finde das Ganze nicht lustig, Thom.«
»Also ich denke, du solltest den Dieb nehmen, wenn du unbedingt einen nehmen musst. Wenn du Georg heiratest, hast du meinen Segen.«
»Falls ich heirate, lasse ich es dich wissen. Kannst du von etwas anderem reden?« Sie legte die Beine über die Armlehne
des ausladenden Sessels, in dem sie saß. »Ich liebe dich aus ganzem Herzen, Thom, aber du schnüffelst in meinen Angelegenheiten rum, und das passt mir nicht.«
Er grinste. »Was für ein Zwilling wäre ich, wenn ich nicht in deinen Angelegenheiten rumschnüffeln würde?« Das brachte sie zum Lächeln. Er saß auf der Kante seines Schreibtischs, strich sich über den Bart und musterte sie von Kopf bis Fuß. »Es hat dich verändert, das Juwel. Es gab Zeiten, da hättest du dich gewaltig aufgeregt, wenn ich Jonathan die Tugend in Person genannt oder dich mit dem Drachen aufgezogen hätte. Jetzt hebst du dir deinen Zorn für wichtige Dinge auf, hab ich recht?«
»Thom, sei so gut!«, schimpfte sie. »Ich bin nicht hergekommen, um mich von meinem Zwillingsbruder analysieren zu lassen!«
Er sah weg. »Tut mir leid«, murmelte er verlegen. »Ich hab vergessen, wie sehr ich es hasse. Aber verändert hast du dich wirklich. Zum Guten, glaub ich.«
»Danke«, sagte sie leise. Komplimente machte Thom nur selten.
Es klopfte, dann öffnete sich die Tür und Si-cham trat ein. »Da bist du ja, Alanna. Jetzt können wir also anfangen.«
Alanna warf Thom einen Blick zu. Misstrauen stieg in ihr auf. »Womit?«, erkundigte sie sich.
»Wir haben die Bücher in Jonathans Zauberbibliothek durchgesehen«, erklärte Thom. »Dort fanden wir einige Möglichkeiten. Für den Augenblick will ich ein bisschen von der Zauberkraft loswerden, die auf mir lastet. Dann werde ich wieder klar denken können. Du als meine Zwillingsschwester bist am besten dazu geeignet, sie zu übernehmen.«
»Moment mal ...«, begann Alanna und erhob sich aus ihrem Sessel. »Was ist, wenn sie mich vergiftet, so wie sie dich vergiftet hat? Sogar eine blutige Anfängerin unter einfachen Hexen weiß, dass man seine eigene Gabe verkraften kann, aber mehr nicht!«
»Das stimmt, sofern es um mehrere Wochen, um Monate oder Jahre geht. Aber in diesem Fall der Machtübertragung geht es nur um eine einzige Woche. Unsere Zauberformeln werden Thoms Magie umschließen und daran hindern, sich mit deiner eigenen zu vermischen«, beruhigte sie Si-cham. »Da sind wir ganz sicher.« Er begegnete Alannas Blick mit einem Lächeln.
Alanna starrte die beiden eine lange Weile an. »Eine Woche?«
»Nicht länger«, antwortete Thom. »So lange dauert es, bis der wichtigste der Kräuterauszüge, die ich zu mir nehmen muss, fertig ist.«
Alanna biss sich auf die Lippen. Thom war so dürr! »Wird es dir helfen? Wird es meine Teilnahme an der Krönung nicht stören?«
»Es wird helfen«, bestätigte Si-cham. »Es wird nicht störend wirken. Nach der ersten Nacht wirst du es gar nicht mehr merken, es sei denn, du versuchst, deine Gabe zu benutzen. Was ich dir nicht empfehlen würde.«
Sie setzte sich mit einem Seufzer. »Was muss ich tun?«
In den nächsten Tagen, während ihr Kopf brummte und ihr Magen rebellierte, blieb sie im Hause Olau. Verbissen übte sie auch weiterhin mit Liam. Sie hatte Angst nachzulassen, wenn sie auch nur einen einzigen Tag aussetzte. Endlich gewöhnte sich ihr Körper an die neue Bürde. Sie weigerte sich,
auch nur den kleinsten Zauber zu sprechen, und benutzte ihre Gabe nicht einmal, um die Kerzen anzuzünden, denn sie hatte Angst davor, was dann passieren würde. Bei ihrem nächsten Besuch war sie froh, dass sie eingewilligt hatte – Thom sah bereits besser aus. Zusammen mit Si-cham nahm er einen komplizierten Zauberspruch in Angriff, der erst einige Tage nach der Krönung vollendet sein würde und der – wenn er Glück
Weitere Kostenlose Bücher