Alarm auf Wolke sieben
Straße hinabzulaufen. „Glaubst du wirklich, ich kann auch nur eine Sekunde schlafen, wenn ich weiß, dass mein kleiner Bruder ganz allein hier draußen herumläuft?“, fragte sie herausfordernd. „Außerdem hast du ihn nie zuvor gesehen, und er kennt dich doch auch nicht. Ich werde ihn viel eher erkennen und beruhigen können als du, und deshalb werde ich mitkommen, ob es dir passt oder nicht!“
„Teufel, was bist du stur!“
„Oh, freu dich nicht zu früh. Du hast noch nicht einmal ansatzweise kennengelernt, wie stur ich sein kann.“
Er zuckte mit den Schultern. „Wie du willst.“ Er bog auf die Mississippi ab und fuhr einige Augenblicke später vor einem im mediterranen Stil gehaltenen Hotel in Cherry Creek, einem der besseren Bezirke Denvers, vor.
Sie drehte sich in ihrem Sitz um. „Verdammt noch mal Miglionni, ich habe dir gerade gesagt …“
„Ich habe keine Ahnung, wann wir heute Nacht fertig werden“, unterbrach er sie, „aber wenn du vorhast, irgendwo zu schlafen, würde ich vorschlagen, du gehst hinein und checkst ein.“
„Oh, ja klar, damit du wegfahren kannst, sobald ich in der Lobby bin, was? Vergiss es. Ich …“
Die Wut, die in seinen Augen aufblitzte, ließ sie mitten im Satz erstarren. Er beugte sich zu ihr hinüber, bis sein Gesicht ganz nah an ihrem war. „Nenn mir eine Gelegenheit, bei der ich dich angelogen habe“, verlangte er.
Sie zögerte kurz. „Noch nie“, musste sie zugeben und fühlte sich wie eine Zicke. „Tut mir leid.“ Sie hörte seinen Seufzer weniger, als dass sie ihn spürte. Sie fuhr sich über die Lippen, während er sich zurücklehnte.
„Geh einchecken, Tori“, sagte er. „Du wirst froh sein, nachher einen Platz zum Schlafen zu haben.“
Ohne ein weiteres Wort stieg sie aus und nahm ihre Sachen aus dem Kofferraum. Auf dem Weg zum Empfang hatte sie keinen Blick für die elegante Lobby des Hotels mit ihrem Kamin und den weißen Marmorsäulen. Sie wollte keine Zeit verschwenden. Kurzerhand steckte sie den Schlüssel ein und gab dem Pagen ein ordentliches Trinkgeld, damit er ihr Gepäck aufs Zimmer brachte. Dann ging sie wieder hinaus, riss die Tür auf und stieg ein. „Es kann losgehen.“
Victoria hatte geglaubt, auf alles vorbereitet zu sein, aber es dauerte nur gut eine Stunde, bis sie sich eingestehen musste, dass sie keine Ahnung hatte, worauf sie sich eigentlich eingelassen hatte. Sie hatten eine dunkle, stinkende Gasse nach der anderen durchsucht, angefangen an der 16. Straße bis hinüber zur Colfax. Obwohl sie keine Spur von Jared fanden, entdeckten sie zu Victorias Entsetzen hinter jedem Müllcontainer und in jeder schäbigen Hütte aus Pappkartons oder ähnlichem Material einen schmuddeligen, hohläugigen Teenager.
John sprach leise mit jedem von ihnen. Victoria bemerkte, wie sorgsam und vorsichtig er dabei vorging. Er vermied es, die Kinder mit seiner Taschenlampe anzuleuchten und hielt diese stattdessen auf das Foto Jareds gerichtet, während er sich erkundigte, ob jemand ihn gesehen hatte. Einer nach dem anderen schüttelte den Kopf.
Victoria seufzte entnervt, als sie aus einer weiteren stinkenden, mit Müll übersäten Gasse auftauchten, wo sie ein weiteres Kind zurücklassen mussten. „Mein Gott“, sagte sie leise. „Ich habe mir nie vorstellen können, das etwas so Entsetzliches wirklich existiert.“ Sie sah Rocket an. „Gibt es in dieser Stadt denn keine Unterkünfte?“
„Keine, in die diese Kinder gehen könnten. Obdachlose neigen dazu, um die wenigen verfügbaren Ressourcen zu kämpfen, und die Kinder ziehen dabei fast immer den Kürzeren.“ Er zögerte und fügte dann in seinem professionellen Tonfall hinzu: „Auf der Straße ist es oft sicherer für sie. Die Erwachsenen in den Unterkünften können sehr gewalttätig sein.“
„Mein Gott“, wiederholte sie.
„Ja, es ist wirklich schlimm“, stimmte er zu. „Aber so sieht für die meisten Ausreißer das Leben auf der Straße aus.“
Fünfundvierzig Minuten später gingen sie eine neue Gasse hinunter, als plötzlich ein Schatten hinter einem Container hervorsprang und gebückt vor ihnen landete. Victoria schrie auf. Rocket schob sie sofort hinter sich. Sie schämte sich nicht, sich hinter seinem Rücken zu verstecken und versuchte, sich so klein wie möglich zu machen.
„Gebt mir euer Geld, dann passiert niemandem was!“
Die Stimme war männlich und jung. Victoria spürte, dass Johns Körper aufs Äußerste angespannt war. Auf einen Betrachter musste er
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