Alarmstufe Rot
hatte sie Recht. Wahrscheinlich hatte ihr Widerstand nichts mit ihrem Beruf zu tun. Was sollte sie mit einem Mann anfangen, der beruflich erledigt war? Mit einem Mann, der keine Pläne für den nächsten Tag machte und lediglich auf Heilung hoffte? Heilung und Rettung durch seine Arbeit.
Und was genau wollte er von Brooke? Er hatte wenig Erfahrung mit Liebesbeziehungen.
Sein Vater war ein Meister der Verdrängung, davon konnte seine Mutter ein Lied singen. Die beiden waren nur wegen des äußeren Scheins zusammengeblieben. Soweit er das beurteilen konnte, hatten sie sich nie wirklich geliebt. Zumindest vermittelten sie nicht den Eindruck.
Seine Kindheit war nicht sehr kindgerecht gewesen, sein Vater war selten da gewesen und seine Mutter hatte dazu geschwie gen. Gewiss, sie hatten ihm nachher oft gesagt, wie stolz sie auf seine Karriere seien. Wie sollten sie auch nicht? Ihr einziges Kind hatte die Tradition fortgesetzt, er stellte die dritte Generation von Ärzten dar.
Manchmal fragte er sich, wen er mit seiner Berufswahl eigent lich hatte glücklich machen wollen - sich selbst oder seinen Vater? Doch mittlerweile gab es für ihn nichts anderes. Die Liebe zu seinem Heilberuf war echt. Bis jetzt war ihm die Medizin das Allerwichtigste gewesen. Er hatte nie daran gedacht, eine Familie zu gründen, da er nicht gelernt hatte, die Beziehung zu einer Frau zu gestalten. Das lernte man meistens durch Vorbilder, und auf dem Gebiet hatte bei ihm permanenter Mangel geherrscht.
Glaubte er tatsächlich, Brooke Lewis könnte das nach sechs unddreißig Jahren ändern?
Oder empfand er lediglich Begehren für sie? Und Dankbarkeit?
Nein, es war mehr. Vielleicht sogar mehr, als ihm lieb war, und das bereitete ihm höllische Angst.
Dr. Jared Granger, ein wahrer Könner in der Herzchirurgie wusste leider nicht, wie er mit seinem eigenen Herzen umgehen sollte.
Nach Luft ringend, stürmte Brooke in ihr Apartment. Krachend fiel die Tür hinter ihr ins Schloss.
Ihre Lungen schmerzten, jeder Atemzug war eine Qual. Panik presste ihren Brustkorb zusammen, ihr war schwindelig und übel.
Sie griff nach dem Inhalator auf dem Couchtisch und inhalierte mehrmals. Dann musste sie husten. Es brannte stärker in der Brust. Sie nahm den zweiten Inhalator und atmete das Mittel ein. Wieder hustete sie, ihr Atem ging keuchend. Ein bitterer, metallischer Geschmack breitete sich auf ihrer Zunge aus, und sie fühlte ein Stechen im Hals, das ihr Tränen in die Augen trieb.
Doch das war ein geringer Preis für die Befreiung.
Allmählich konnte sie wieder normal atmen. Sie sollte inzwischen doch wirklich wissen, dass sie nicht im Wald umherlaufen oder einem sündhaft sexy Arzt erlauben durfte, sie zu küssen.
„Brooke, bist du das?” fragte jemand im Schlafzimmer.
Großartig. Ihre besorgte Mutter fehlte ihr gerade noch.
Brooke streifte das Flanellhemd ab, warf es beiseite und ließ sich auf die Couch fallen. Sie schaute zur Uhr und wunderte sich, wieso ihre Mutter noch immer auf war. Aber sie wusste es ja. Jeanie Lewis hatte ihr halbes Leben damit verbracht, dafür zu sorgen, dass ihre Tochter in einer sterilen Umgebung lebte. Es gab hier kein Staubkörnchen, keine Spur von Essensresten, absolut nichts, das ihre Allergien und das Asthma verschlimmern könnte. Sie hasste das.
Nachdem sie ihrer Stimme wieder mächtig war, rief sie: „Ja, Mom.” Sie holte erneut Luft.
„Ich bin’s.”
„Schön, Liebes. Im Kühlschrank stehen Nudeln mit Gemüsesoße. Die Tüte Schokomilch habe ich weggeworfen. Du weißt doch, dass du dagegen allergisch bist.”
Gleich morgen früh würde sie zum Supermarkt gehen, um ihre Vorräte aufzufüllen. „Okay, Mom.”
„Ich bin gleich mit deinen Jalousien fertig. Dann muss ich aber nach Hause, dein Dad wartet auf mich.”
„Super, Mom. Vielen Dank.”
Brooke legte den Kopf an die Sofalehne und atmete ein paar Mal frei durch. Das Klacken der Wohnungstür erregte ihre Aufmerksamkeit. Wunder über Wunder - ihre Schwester kam zur Abwechslung einmal früh nach Haus.
Michelle schloss die Tür nicht gerade sacht, ließ ihre Tasche auf den Boden fallen und warf sich in den Fernsehsessel. Sie streckte die Beine aus und rutschte mit dem Po nach vorn, unge achtet der Tatsache, dass sie einen engen schwarzen Minirock trug.
„Das war die reinste Folter.” Michelle schloss die Augen und seufzte.
Brooke versuchte, nicht zu grinsen. „Wieder ein verunglücktes Date?”
Michelle strich sich über die Stirn. „Das ist
Weitere Kostenlose Bücher