Alasea 01 - Das Buch des Feuers
Leuchtkraft. Obwohl das Licht diffus war, hatte Er’ril das Gefühl, durch seine Farbe und Art an irgendetwas erinnert zu werden. Wo hatte er schon einmal einen so silbernen, reinen Glanz gesehen?
»Ich dachte, Kobolde scheuen das Licht«, sagte Er’ril.
»Ja, helles Licht«, antwortete Bol. »Manche sagen, ihre Augen seien für eine andere Art von Beleuchtung eingerichtet, die es ihnen erlaubt, sich auf den dunklen Pfaden im Herzen der Berge zu bewegen. Manche behaupten, es sei die Ausstrahlung elementarer Felsmagik, die sie anzieht und ihre Wege beleuchtet. Aus diesem Grund plündern sie viele Kristallbergwerke und schänden viele geheiligte Höhlensysteme. Die Felsmagik zieht sie an, wie ein Magnet Eisen anzieht.«
»Mein Eisenschlüssel«, sagte Er’ril, dem plötzlich eine Erkenntnis dämmerte. »Er ist aus Elementarmagik geschaffen. Ich habe ihn gut versteckt. Aber wenn sie Magik erschnüffeln können…«
»Nicht erschnüffeln, sehen. Manche sagen…«
Er’ril schüttelte den Kopf. »›Manche sagen… , manche behaupten genug von diesem Gerede! Die Quelle dieses Lichts müsste so hell sein, dass selbst ein Wüstenkrieger aus dem Südland sich geblendet fühlt. Die Antwort auf die Frage, was die Kobolde mit einem solchen Licht anstellen, liegt vor uns.«
Er’ril schritt weiter in den Tunnel hinein. »Elementarmagik oder nicht - ich will unbedingt meinen Schlüssel wiederhaben.«
Er folgte der silbernen Spur. Während das Licht um ihn herum immer heller wurde, ließ ihn die Frage, wo er schon einmal ein solches Licht gesehen hatte, nicht zur Ruhe kommen. Er hatte den Eindruck, als ziehe seine Reinheit die graubraune Farbe von den Wänden ringsum weg und enthülle den Geist des Steins darunter. Der Lichtschein verlieh sogar den grob behauenen Bogen eine gewisse Schönheit. Wo…?
Plötzlich durchzuckte ihn eine Erinnerung, und seine Füße verharrten auf der Stelle. Jetzt fiel ihm wieder ein, wo er schon einmal ein ähnliches Licht gesehen hatte! Er erschauderte durch und durch und schüttelte den Kopf. Es war unmöglich! Nicht hier. Gewiss spielten ihm seine Augen einen Streich nach den vielen Stunden, die er jetzt schon in diesem schwarzen Loch verbrachte, begleitet von der gelben Flamme der Lampe und dem kalten blauen Licht des Falken als Wegweiser.
Er stellte fest, dass seine Beine gegen seinen Willen rannten.
»Nein!« rief Elena ihm nach. Sorge um ihren Onkel schwang in ihrer Stimme mit. »Wir machen hier kein Wettrennen. Was immer vor uns liegen mag, es kann warten.«
Nein, dachte Er’ril, es kann nicht warten. Dennoch hörte er auf sie und ging langsamer. Er musste dieser Hexe trauen.
»Was hat dich denn so aus dem Häuschen gebracht?« fragte Bol, nachdem sie Er’ril eingeholt hatten.
»Da vorn scheint mir irgendetwas nicht geheuer«, sagte Er’ril. »Ob uns Gefahr droht oder nicht, weiß ich nicht mit Sicherheit zu sagen. Doch wir sollten unsere Kräfte gut einteilen und uns auf das Schlimmste gefasst machen.« Mit erhobener Laterne schritt er weiter durch den Tunnel auf das Licht zu.
Da der Tunnel breit genug war, forderte Onkel Bol Elena mit einem Handzeichen auf, sich neben ihn zu gesellen. »Ich habe deinen Gesichtsausdruck gesehen!« rief er Er’ril zu. »Ich möchte wetten, du hast einen bestimmten Verdacht, was da vor uns liegen könnte.«
»Da irrst du dich, Alter.«
»Alt? Du bist fünf- oder sechsmal so alt wie ich. Also, heraus mit der Sprache! Welchen Verdacht hast du? Was macht dir so zu schaffen?«
»Nur ungute Erinnerungen.«
»Woran?«
»Findest du nicht… findest du das Licht nicht irgendwie seltsam?«
Onkel Bol kniff die Augen zusammen und starrte geradeaus.
»Ich finde es schön«, antwortete Elena.
Er’ril schüttelte den Kopf auf eine Weise, dass sich Elena töricht vorkam. Aber es war wirklich schön! Das Licht schien alles rein zu waschen, und während sie tiefer in den Schein hineinging, kam ihr die Luft nicht mehr so schwer und feucht vor, als ob sie nach einer langen Winternacht einen milden Frühlingsmorgen erleben würde.
»Es ist bestimmt nicht natürlichen Ursprungs«, sagte ihr Onkel. »Es ist aber auch keine Elementarmagik, dafür ist es viel zu stark. Vielleicht eine Art von verzaubertem Licht? Ich habe zwar noch nie davon gehört, dass Kobolde Zauberei betreiben, aber schließlich ist wenig über deren Spezies bekannt.« Er deutete auf die grotesken Abbildungen, die in den Bogen eingeritzt waren, an dem sie gerade vorbeikamen.
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