Alasea 01 - Das Buch des Feuers
sonderlich kräftig wirkte, so erkannte Kral doch eine Schlange, wenn er darauf traf. Kral wartete. Nach Art der Bergbewohner wollte er dem Elv’en den ersten Zug überlassen.
Und so geschah es auch - Merik agierte mit verblüffender Geschwindigkeit. Er verschwand von der Stelle, an der er gestanden hatte, und erschien auf der Kuppe eines nahen Felsens. Eine Klinge, so fein und dünn, dass sie wie ein Schatten wirkte, ragte aus seiner Faust. Der Elv’e war so schnell gesprungen, dass Krals Augen ihm nicht hatten folgen können. Nur ein warnender Schrei hatte ihn auf die Bewegung des Gegners aufmerksam gemacht.
Die Warnung ertönte erneut, und Kral hatte kaum Zeit, seine Axt zu heben und einen Hieb gegen seinen Bauch abzuwehren. Die Axt schlug mit solcher Wucht zu, dass Meriks Schwertarm nach hinten flog. Der Elv’e taumelte einige Schritte zurück, dann gewann er das Gleichgewicht wieder; sein Gesicht war vor Anstrengung gerötet.
Kral vermutete, dass diese blitzartigen Bewegungen den Elv’en stark in Anspruch nahmen. Niemand konnte sich mit einer derart unnatürlichen Geschwindigkeit über längere Zeit bewegen. Der Elv’e bediente sich offenbar irgendwelcher seltsamer Elementarkräfte, die in seinem Körper schlummerten. Er keuchte mit zusammengebissenen Zähnen.
Kral hoffte, den Kampf so lange auszudehnen, bis der Elv’e erschöpft wäre. Er hielt die Axt mit beiden Händen, und seine Armmuskeln wölbten sich vor Anspannung. Merik blinzelte in seine Richtung und hob die Spitze seines Schwerts.
Plötzlich veränderte sich das Licht in der Höhle, als ob es zerstäubt würde. Der schwache Elv’en-Schein war umkränzt von einer blutroten Strahlung. Beide Widersacher wandten sich ruckartig um.
Tol’chuk stand zu voller Größe aufgerichtet da und überragte die beiden Männer, einen Arm hoch über den Kopf erhoben. In seiner Hand ruhte ein Stein von der Größe eines Stierherzens. Er preschte vor, eingerahmt von blendender Helligkeit, als ob sein Zorn Gestalt angenommen hätte. »Halt!« brüllte er in die Höhle hinein, und seine Stimme hallte von den Wänden wider. »Ihr habt Eide geschworen. Ihr seid jetzt Brüder. Bei den Og’ern tötet kein Bruder den Bruder.«
Weder Tol’chuks Worte noch der leuchtende rote Stein veranlassten Kral, den Arm mit der Axt zu senken. Sondern der Schmerz und die Scham in den Zügen des Og’ers. Plötzlich überzog sich Krals Gesicht ebenfalls mit Schamröte. Merik senkte den Kopf, und das Schwert verschwand aus seiner Hand. Wohin, hätte Kral nicht zu sagen vermocht. Am Gürtel des Elv’en hing keine Scheide.
»Warum kämpft ihr?« fragte Tol’chuk und senkte den Arm. »Wegen dieser Hexe? Kral, du sprichst und handelst, als würdest du diese Frau kennen.«
Kral konnte nicht lügen, zumindest nicht schon wieder. Er sprach mit gedämpfter Stimme. »Ich glaube, ich weiß, von wem der Elv’e spricht. Sie ist noch ein Kind.«
Als Nächster sprach Merik. »Kind oder nicht, sie ist ein Ungeheuer. Ich werde sie töten. Alle, die ihr beistehen, sind Geschöpfe des Bösen und werden mit ihr sterben.«
»Ich kenne dieses Kind. Ich habe beobachtet, wer es umbringen wollte - eure Ungeheuer! Jene, die ihm beistehen, erwiesen sich als ehrenhaft und sind von edler Gesinnung. Ich will mich gern bei ihnen einreihen und notfalls mit ihnen sterben.«
Krals Worte erschütterten die Entschlossenheit auf Meriks Gesichtszügen. »Aber das Orakel von Selph hat davor gewarnt!«
»Ich halte nichts von den Worten irgendeines Wahrsagers«, fuhr Kral dazwischen. »Prophezeiungen werden oft in höchst verschlüsselter Form überliefert. Nur Steine sprechen eine schlichte und wahre Sprache.«
Tol’chuks Kristall war allmählich verblasst. Er steckte ihn in den Beutel an seinem Schenkel. »Ich stimme mit dem Mann aus den Bergen überein«, sagte er mit einer Miene, die wohl angesichts einer bestimmten Erinnerung verbittert wirkte. »Orakel drücken sich nicht immer eindeutig aus.«
Kral fügte hinzu: »Und unschuldiges Blut, das einmal vergossen wurde, kann nicht zurückgeholt werden. Das Kind hat nichts getan, was einen Messerstich in sein Herz rechtfertigen würde. Ich beurteile es nach seinen Handlungen, nicht nach irgendwelchen Prophezeiungen von der anderen Seite des Meeres.«
Merik, dessen Gesicht keine Regung zeigte, ließ die Augen zwischen Tol’chuk und Kral hin und her wandern. »Eure Worte sind mit dem Herzen gesprochen«, sagte er. »Ich werde darüber
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