Alasea 01 - Das Buch des Feuers
schloss die Augen und rieb sich die Stirn. »Nicht schon wieder«, murmelte er, wobei er sich auf die Knie rollte und dann langsam auf die Füße kam. Er hielt sich an einem Baumstamm fest, um das Gleichgewicht nicht zu verlieren. »Wie lange war ich weg?«
»Lange genug. Die Spur wird allmählich kalt.« Dismarum deutete zu dem Bauernhof. »Komm.« Der alte Seher setzte sich in Marsch; zu jedem Schritt benutzte er den Stock. Die Erschöpfung nach dem Gebrauch der schwarzen Kunst seines Meisters machte seine Gliedmaßen so schwach wie die eines Vogelkükens. Er bemerkte, dass Rockenheim an dem Baumstamm stehen blieb.
»Die Nacht wird dünn, Alter!« rief Rockenheim seinem Rücken hinterher. »Vielleicht sollten wir in die Stadt zurückkehren und morgen früh wiederkommen, um das Mädchen zu holen. Oder lass uns zumindest reiten - die Pferde sind nicht weit…«
Dismarum wandte das von der Kapuze bedeckte Gesicht Rockenheim zu. »Es muss jetzt geschehen!« zischte er. »Vor Tagesanbruch müssen wir sie dingfest gemacht haben. Der Meister hat eindeutige Anweisungen hinterlassen. Wir müssen uns ihrer bemächtigen, solange der Mond noch scheint.«
»Wenn du es sagst.« Rockenheim schob sich von dem Baumstamm weg wie ein Schiff, das den sicheren Hafen verlässt. Er taumelte zu dem Seher, während Dismarum sich umwandte, um dem Zug der Mol’grati zu folgen. Rockenheim hörte nicht auf zu murren. »Du hast zu viele Ergüsse von Verrückten gelesen. Hexen kommen in Märchen vor, um Kindern Angst einzujagen. In diesem Bauernhaus werden wir nichts anderes finden als ein verängstigtes Mädchen mit schwieligen Händen von der Landarbeit. Ich büße wegen dieser verrückten Verfolgung den Schlaf einer Nacht ein.«
Dismarum hielt inne und lehnte sich auf seinen Stab. »Du wirst mehr als den Schlaf einer Nacht einbüßen, wenn sie heute Nacht unserem Netz entschlüpft. Du hast in den Verliesen des Meisters gesehen, wie er mit Versagern umgeht.«
Der Seher gestattete sich einen Augenblick der Genugtuung, als Rockenheim bei seinen Worten erschauderte. Dismarum wusste, dass Rockenheim die niederen Regionen von Schwarzhall durchreist und die verzerrten Überbleibsel jener gesehen hatte, die einst unter der Sonne gewandelt waren. Sein geschwätziger Führer folgte ihm jetzt schweigend, während Dismarum den Weg anführte.
Der Seher schätzte die Stille. Er hätte es geschehen lassen können, dass der geschwächte Mann im kalten Obsthain erfroren wäre. Aber außer dass er die Mol’grati beherbergte, hatte Rockenheim noch viele andere Verwendungszwecke. In Schwarzhall hatte der Meister Rockenheim auf seinem Blutaltar aufgespreizt und ihn mit den dunkelsten seiner Künste durchtränkt. Dismarum erinnerte sich gut an die Schreie des Mannes damals um Mitternacht und daran, wie er vor Schmerz aus den Augen blutete, wie sein Rücken zerbrach, als er sich auf dem blutigen Stein wand. Später hatte ihn der Meister wieder zusammengesetzt, Stück für Stück, und dann die Erinnerung des Narren an diese lange Nacht ausgelöscht. Zum Werkzeug des Meisters geschaffen, war Rockenheim Dismarum zugeteilt worden, um ihm bei der Erledigung seiner Aufgabe zu helfen.
Dismarum warf Rockenheim einen Seitenblick zu. Er erinnerte sich an einen besonders widerwärtigen Ritus, durchgeführt Schlag Mitternacht während Rockenheims Formung, bei dem das Abschlachten eines Neugeborenen erforderlich war. Das unschuldige Blut des Kleinkindes hatte sowohl den Altar als auch Rockenheims bloß liegendes schlagendes Herz getränkt. Er erinnerte sich an das Werkzeug, das in diesem Augenblick in Rockenheim eingeführt wurde - etwas so Dunkles, dass der trübsichtige Seher bei dem Gedanken daran selbst jetzt noch erschauderte.
Irgendwo über den Hügeln heulte ein Hund in der Nacht, als ob er eine kurze Witterung der Abscheulichkeit aufgeschnappt hätte, die in Rockenheim verborgen war.
O ja, es gab noch vieles mehr, wofür Rockenheim taugen würde.
5
Elena konnte nicht schlafen. Das Bettzeug scheuerte bei der kleinsten Bewegung an ihren Verbrennungen. Ihre Gedanken beschäftigten sich immer noch mit den erschreckenden Ereignissen in der Badekammer. So gern sie sich auch eingeredet hätte, dass sie an der Zerstörung des Raumes unschuldig war, wusste sie doch in ihrem Innern, dass es nicht so war. Auch diese Sorge hielt ihre Augen offen, hinderte sie am Einschlafen.
Was war geschehen?
Die Worte ihrer Mutter gingen ihr immer wieder durch den
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