Alasea 01 - Das Buch des Feuers
zwei Völkern vermischen sich in dir.«
»Ich weiß«, sagte Tol’chuk. »Ich bin ein Halbblut. Og’er und Mensch.«
Die greisen Og’er warfen sich gegenseitig Blicke zu, eine lautlose Absprache. Tol’chuk lauschte angestrengt in ihre Richtung. Unbestimmte geflüsterte Laute kamen von der dicht zusammenstehenden Gruppe, einsame Worte und Satzfetzen: »… Lügen… er weiß nicht… das Buch des Blutes… kristallene Zähne… der Stein wird die Hexe töten.«
Tol’chuk wartete, aber er hörte keine weiteren Worte mehr. Das Herz pochte ihm wild in der Brust. Er konnte nicht ruhig bleiben. »Was wollt ihr von mir?« Seine Worte brachen sich laut in der stillen Höhle.
Das Trio richtete drei Paar Augen auf ihn, dann floss ihm ihre Antwort zu: »Befreie unsere Geister. Töte den Vernichter.«
Mogwied und Ferndal kuschelten sich unter einem Felsvorsprung zusammen. Der Steinsims bot wenig Schutz, doch das spätnachmittägliche Unwetter war so plötzlich und mit solcher Heftigkeit hereingebrochen, dass sie in diesem Ödland der Og’er keinen anderen Zufluchtsort hatten finden können.
Blitzarme griffen nach den Berggipfeln und erschütterten das Gestein. Laute Donnerschläge scheuchten sie noch tiefer unter das Steindach. Pfeifender Wind wehte von den Höhen herab und trieb einen peitschenden Regen vor sich her.
Nachdem die Jäger davor zurückgeschreckt waren, sie ins Land der Og’er zu verfolgen, war Mogwied davon ausgegangen, dass die einzige Todesgefahr für sie in einer Begegnung mit einem der gebückten Bewohner dieser kahlen Gipfel bestünde.
Er war nicht auf den Gedanken gekommen, sich wegen des Wetters Sorgen zu machen.
Winzige Eistropfen stachen Mogwieds entblößte Haut wie Wespenbisse. »Wir müssen uns einen besseren Schutz suchen«, sagte er, während Ferndal seinen dicken Pelz schüttelte. »Bis heute Abend sind wir erfroren.«
Ferndal hielt den Rücken Mogwied zugewandt und starrte hinaus in die regenüberfluteten Wasserrinnen und Felsen. Anscheinend machte ihm der eiskalte Regen, der aus dem wolkenverhangenen Himmel herabprasselte, nichts aus. Wie die Federn einer Gans bot sein Fell ihm einen wasserdichten Schutz, während Mogwieds Kleidung die Feuchtigkeit in sich aufsog und mit nasskaltem Griff seine Haut umklammerte.
Mogwieds Zähne klapperten, und der geschwollene Knöchel pochte in dem durchnässten Stiefel. »Wir brauchen wenigstens ein Feuer«, sagte er.
Ferndal wandte die Augen Mogwied zu; ihr bernsteinfarbener Schimmer war eher kalt als warm. Ein Bild formte sich, eine Warnung: Ein Adlerauge erspäht den wackelnden Schwanz eines törichten Eichhörnchens.
Mogwied zog sich noch weiter unter den Felsvorsprung zurück. »Glaubst du wirklich, die Og’er sehen unser Feuer? Bestimmt hat dieses Unwetter sie tief in ihre Höhlen getrieben.«
Ferndal ließ den spähenden Blick schweigend über das felsige Gelände schweifen.
Mogwied bedrängte seinen Bruder nicht. Die Kälte stellte trotz allem eine geringere Gefahr dar als eine Gruppe von Og’ern. Mogwied ließ den Rucksack von den Schultern gleiten und auf den Boden ihres Unterschlupfs fallen. Er kroch in eine Nische, die am weitesten vom Wind und Regen entfernt war, und drückte die Knie an die Brust, um den scharfen, regennassen Böen möglichst wenig Angriffsfläche zu bieten. Zum tausendsten Mal an diesem Tag wünschte er sich wenigstens ein Jota seiner früheren Fähigkeiten zurück.
Wenn ich mich doch nur in einen Bären verwandeln könnte, dachte er, dann wären dieser Regen und diese Kälte für mich nichts weiter als eine kleine Belästigung! Er betrachtete die zottige Gestalt seines Bruders und verzog das Gesicht. Ferndal war schon immer der mit mehr Glück gesegnete der Zwillingsbrüder gewesen. Ferndal war als Erstgeborener zum Erben des Familienbesitzes erklärt worden. Passend zu dieser Stellung war Ferndal mit der Gabe der geschliffenen Rede ausgestattet; er wusste stets das Richtige zu sagen, wenn es gesagt werden musste. Gerüchte über seine Aussichten, gewählter Stammvater zu werden, machten bald die Runde. Mogwied hingegen schien immer das Falsche zur ungünstigsten Zeit zu sagen und bei seinen Clansleuten mit jedem Gebrauch seiner Zunge ins Peinliche abzugleiten. Wenige suchten seine Gesellschaft oder seinen Rat.
Obwohl all dies ihn bekümmerte, ärgerte es ihn doch nicht so heftig wie etwas anderes. Was Mogwied tatsächlich zur Weißglut bringen konnte, war vielmehr die Tatsache, dass Ferndal den
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