Alasea 01 - Das Buch des Feuers
dröhnendes Knurren aus Ferndals Kehle.
Mogwied schob sich näher an seinen Bruder heran. »Was gibt es? Og’er?« Schon allein das Aussprechen des Namens löste einen Schauder in ihm aus.
Plötzlich stapfte ein schwarzhäutiges Geschöpf aus den Regenbächen vor ihnen heraus. Ein Eisenmaulkorb hing ihm locker um den Hals, und es schleppte eine zerbrochene Kette hinter sich her. Es neigte den Kopf, um sich Ferndals Körperhöhe anzupassen, und seine Klauen gruben sich in den Fels.
Ein Schnüffler!
Offenbar war er den Jägern entkommen und hatte seinerseits die Jagd fortgeführt. Mogwied versuchte, sich hinter Ferndal zu verstecken, doch der Wolf bot wenig Schutz. Ferndal wog nur einen Bruchteil des schnaubenden Räubers - ein wimmerndes Hündchen vor einem Bären.
An den Schultern des Untiers wölbten sich dicke Muskeln. Der Schnüffler schüttelte den eisernen Maulkorb ab und öffnete die Kiefer, um Reihen spitzer Zähne zu entblößen. Er heulte sie an, und sein Schrei war eine Herausforderung für den Donner, der zwischen den Berggipfeln dröhnte.
Dann setzte er zum Sprung an.
17
Tol’chuk hielt den Herzstein, den seine Hand umklammerte, dem ihm am nächsten stehenden alten Og’er hin. Das Herz lag ihm so schwer in der Brust wie der Stein in seiner Hand. »Ich verstehe eure Bitte nicht. Wie sollte ich den Vernichter zerstören?«
Das Trio stand reglos und schweigend da. Drei Augenpaare betrachteten ihn eingehend. Er hatte das Gefühl, als würde er bis auf die Knochen gemustert und beurteilt. Endlich summten Worte an sein Ohr. »Du bist derjenige.«
Tol’chuk wollte die ehrwürdigen Greise seines Stammes nicht beleidigen, aber offenbar waren sie dem Altersschwachsinn anheim gefallen. »Wer soll ich sein? Für wen haltet ihr mich?«
Er bekam keine Antwort, stattdessen starrten sie ihn weiterhin unverwandt an.
Tol’chuk hatte das Gefühl, als drücke die Felsmasse über seinem Kopf auf ihn nieder. »Bitte, ich bin doch nur ein halber Og’er. Die Aufgabe, von der ihr sprecht, sollte einem der Krieger, einem Vollblut-Og’er, übertragen werden. Was habe ich damit zu tun?«
Wieder flossen Worte zu ihm. »Du bist der letzte Nachfahre des Eidbrechers, der das Land verraten und den Fluch des Vernichters über unser Volk gebracht hat.«
Tol’chuk spürte, wie seine Arme schwächer wurden. Sollte diese Schande denn niemals enden? Nicht nur dass er zu einem Dasein als Halbblut verdammt war, sondern - falls die Triade die Wahrheit sprach - er war auch noch der Nachkomme des niederträchtigen Og’ers, der seinem Volk Verdammnis gebracht hatte. Ihm fehlten die Worte, um auf diese Anschuldigungen etwas zu entgegnen; er brachte lediglich einen geflüsterten Widerspruch hervor. »Das… das kann nicht wahr sein.«
Der Ton der Triade war scharf wie die Kanten des Granitgesteins der Berge. »Du, Sohn des Len’chuk, verkörperst das Ende eines uralten Geschlechts. Du bist der letzte Spross aus der Saat des Eidbrechers.«
»Aber… was wollt ihr damit sagen - ich bin der letzte Spross aus seiner Saat?«
»Bei deiner Namensgebung hat ein alter Heilkundiger dich untersucht. Dein gemischtes Blut hat deinen Samen verdorben. Du kannst keine Og’er-Nachkommen zeugen.«
Tränen standen ihm in den Augen. So viele Geheimnisse! »Warum hat man mir all das nicht gesagt?«
Seine Frage wurde übergangen. Ihre nächsten Worte bargen die Schärfe eines Befehls in sich. »Du bist der Letzte. Du musst die Ehre deines Blutes wiederherstellen, indem du den Verrat deines Vorfahren wieder gutmachst.«
Tol’chuk schloss die Augen und umklammerte den schwarzherzigen Stein in seiner Hand noch fester. Seine Stimme war belegt. »Was hat dieser Eidbrecher getan?«
Nach einer Weile des Schweigens drangen geflüsterte Worte zu ihm. »Das wissen wir nicht.«
»Wie soll ich es dann wieder gutmachen?«
Die Worte wurden wiederholt. »Das wissen wir nicht.«
Tol’chuk kniff vor Verwirrung die Augen zusammen. »Wie soll ich es dann herausfinden?«
»Du musst mit dem Herz unser Land verlassen. Such deine Antworten hinter der Geistpforte.«
Tol’chuk hörte nichts anderes als das Wort verlassen. Bei dem Gedanken bebte seine Schulter. Das hatte er am meisten befürchtet, nachdem er Fen’chua getötet hatte: Verbannung. Gezwungen zu sein, seine Heimat zu verlassen und in die größere Welt hinausziehen zu müssen, eine Welt, in der sein Volk gehasst und gefürchtet wurde. Tol’chuk schrumpfte unter ihren starren
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