Alasea 01 - Das Buch des Feuers
Herzschlag drohte auszusetzen, und die Kälte des Bodens fuhr ihm plötzlich eisig in die Knochen. Er erinnerte sich an die heimlichtuerische Antwort der Triade, als er von seinem gemischten Blut gesprochen hatte. Die Worte ›Er weiß es nicht‹ waren ihm ans Ohr gedrungen. Wenn die drei Alten über sein wahres Erbe Bescheid gewusst hatten, warum hatten sie ihm dann nichts davon gesagt?
Tol’chuk erschauderte. Mogwieds Worte hatten den Anschein von Wahrheit - besonders nachdem er gesehen hatte, wie schwach und klein die menschliche Rasse war. Die Og’er-Weibchen hingegen, obwohl sie nicht mehr wogen als ein Mensch, waren stämmig und von kräftigem Knochenbau.
Tol’chuk senkte den Kopf in die Hand; seine Gedanken wirbelten durcheinander. Ein Si’lura, der sich in die Gestalt eines Og’er-Weibchens verwandelte, hätte seinem wuchtigen Vater standhalten können. Aber hatte sie das absichtlich getan? Oder war sie in der Og’er-Gestalt stecken geblieben und hatte ihre Si’lura-Vergangenheit vergessen? Tol’chuk würde es nie erfahren. Seine Mutter war bei seiner Geburt gestorben. So hatte man es ihm jedenfalls erzählt. Aber stimmte das?
Mogwied musste Tol’chuks Betroffenheit gespürt haben. Die Zunge des Menschen schnalzte in der Kehle, offenbar befürchtete er, ihn beleidigt zu haben. »Ich… es tut mir Leid, wenn ich…«
Tol’chuk hob eine Hand zum Zeichen, dass er schweigen möge. Sein Kinn war straff gespannt. Die Worte blieben in seiner Kehle vergraben. Er sah nur schweigend zu den beiden Brüdern auf der anderen Seite des Feuers hinüber. Auch sie waren sein Stamm.
Und wie zuvor die Og’er in seiner Heimat würden auch sie ihn nie voll anerkennen. Der neue Stamm würde der Og’er-Hälfte in ihm immer mit Abscheu und Entsetzen begegnen.
Tol’chuk sah zu, wie sich Mogwied in seine Decken hüllte und einen Wollzipfel über den Kopf zog. Tol’chuk saß wie gelähmt da. Das Feuer bescherte ihm in dieser Nacht keine Wärme. Er schaute zu den wenigen Sternen hinauf, die durch die aufgelockerte Wolkendecke hindurch leuchteten. Das Feuer krachte, als die Holzscheite verglommen. Noch nie hatte er sich so einsam gefühlt.
Am nächsten Nachmittag bedauerte Tol’chuk, dass er sich über die Einsamkeit beschwert hatte. Plötzlich waren die Bergpfade allzu überlaufen. Noch bevor Tol’chuk seine Begleiter verstecken konnte, fielen drei Og’er von einem windabgewandten Hang des Gebirgszuges über sie her.
Tol’chuk starrte die drei Og’er vom Ku’ukla-Clan an, ebenjenem Stamm, bei dessen Überfällen sein Vater ums Leben gekommen war. Die kräftigen Muskeln und zahllose Narben zeugten davon, dass diese drei viele Schlachten erlebt hatten und vom Krieg abgehärtet waren. Der Anführer der Bande überragte Tol’chuk um einiges.
»Das Halbblut vom Toktala-Clan!« grunzte dieser Riese von einem Og’er. Er deutete mit einem Eichenstamm, den er in der freien Hand trug, auf Tol’chuk. »Anscheinend gelingt es sogar einem Halbblut, auf diesen Wegen ein bisschen Beute zu machen.«
Tol’chuk trat vor den ängstlich zusammengekauerten Mogwied. Ferndal, der auf seinen drei gesunden Beinen stand und zuhörte, blieb in der Nähe von Tol’chuks dickem Schenkel. Der Wolf knurrte die Gruppe der Og’er an. Tol’chuk stützte sich mit den Knöcheln einer Hand auf dem nassen Stein ab, um so gut wie möglich eine echte Og’er-Gestalt abzugeben. Wenn er auch nur die geringste Aussicht haben wollte, diesen Überfall zu überleben, dann durfte er nicht den Ekel der Angreifer hervorrufen. Erleichtert, dass er wieder die Og’er-Sprache benutzen konnte, zwang er seine Zunge zu einer maskulinen, gutturalen Aussprache. »Dies sind keine Blutspeisen. Sie stehen unter meinem Schutz.«
Der Anführer zog die Lippen zurück und entblößte die Fangzähne, um Erheiterung und gleichzeitig eine Drohung auszudrücken. »Seit wann geht ein Og’er auf die Wünsche eines Menschen ein? Oder hat deine menschliche Hälfte die Oberhand über den Og’er gewonnen?«
»Ich bin ein Og’er.« Tol’chuk ließ kurz einen Fangzahn zwischen den Lippen aufblitzen, eine Warnung, dass die Worte des Anführers nach Vergeltung verlangten.
Diese Darbietung schien den großen Og’er noch mehr zu erheitern. »Dann hält sich der Sohn von Len’chuk also für etwas Besseres als sein Vater? Drohe nicht jenen, die deinen Vater in die Geisthöhle geschickt haben.«
Tol’chuk versteifte sich, und seine Nackenmuskeln wölbten sich. Wenn
Weitere Kostenlose Bücher