Alasea 01 - Das Buch des Feuers
ihrem Gesicht ab. Seltsam, dachte Elena, wie Ni’lahns Schönheit wechselnd zu- und abnahm.
Plötzlich erschütterte ein lauter Rülpser das Geschirr. Kral balancierte auf einem kleinen Stuhl an der Längsseite des Tisches, Elena gegenüber, und rieb sich das bärtige Kinn mit dem Ärmel ab. Er sah fragend in all die Augen, die auf ihn gerichtet waren. Der Mann aus den Bergen war sich offenbar des gesellschaftlichen Fehlverhaltens, das sein Ausbruch darstellte, nicht bewusst. »Was ist?« fragte er, wobei er seine Gabel auf den Teller legte und sich den voll gestopften Bauch rieb. Sein Kopf drehte sich von einer Seite zur anderen, um sie alle nacheinander anzusehen. »Was ist?«
Elena hielt sich die Hand vor den Mund, um ein Kichern zu verstecken.
Rockenheim, der mit einem Löffel sein Fleisch bearbeitete - das einzige Utensil, das ihm zugestanden worden war -, murmelte vor sich hin: »Und mich haben sie gefesselt.« Die Fußgelenke des Gefangenen waren mit einem Strick zusammengeschnürt und sicherheitshalber an einen Fuß des Eichentisches gebunden worden.
Er’ril räusperte sich und sah Onkel Bol an. »Nun, wie es den Anschein hat, sind alle mit dem Essen fertig. Jetzt beliebt es dir vielleicht, uns darüber aufzuklären, woher du wusstest, dass wir kommen würden, und sogar meinen Namen kanntest.«
»Wer möchte noch einen Nachtisch?« Onkel Bol schob seinen Stuhl mit einem lauten Scharren zurück. »Zu Ehren des Feuers im Obsthain habe ich einen heißen Apfelstrudel zubereitet. Mag jemand kosten?«
»Das hat Zeit…«, setzte Er’ril an, aber die vier hochgestreckten Hände seiner Gefährten brachten ihn zum Verstummen. Die Schultern des Schwertkämpfers sanken nach vorn, und er seufzte laut. »Also gut. Hol den Apfelstrudel.«
Onkel Bol stand auf und reckte sich. »Vielleicht…« Seine Augen waren wieder auf das Gesicht der kleinen Frau gerichtet. »Ni’lahn, so war doch der Name, nicht wahr? Vielleicht könntest du mir in der Küche zur Hand gehen?«
»Gern.« Ni’lahn wischte sich die zarten Hände an einem Stück Leinen ab, dann stand sie auf und folgte Onkel Bol aus dem Zimmer.
Er’ril schlug mit dem Finger in offensichtlicher Ungeduld gegen seinen Becher mit Ko’koa.
Elena spürte, dass der Schwertkämpfer die Beherrschung verlor. Seit dem Augenblick, da Onkel Bol seinen Namen ausgesprochen und sich dann geweigert hatte, irgendwelche Fragen zu beantworten, bevor sie zu Ende gegessen hatten, waren die Muskeln in Er’rils Nacken zu immer strafferen Wülsten angewachsen. Obwohl er bestimmt Hunger hatte, hatte er die Speisen, die er sich aufgetan hatte, kaum angerührt.
»Nimm es Onkel Bol nicht übel«, sagte Elena. »So ist er nun einmal.«
Er’ril unterbrach sein Klopfen und drehte sich energisch zu Elena hin. »Und was genau hat dein Onkel vor?«
»Er wird es uns erzählen, aber erst dann, wenn er willens ist. Er hat uns früher, wenn er uns besucht hat, immer Gutenachtgeschichten erzählt. Wenn wir versucht haben, den Gang seiner Erzählung zu beschleunigen, dann pflegte er sie noch mehr in die Länge zu ziehen.«
»Dann essen wir am besten erst einmal Apfelstrudel«, seufzte Er’ril missmutig.
Elena nickte und erwähnte nichts von der Unruhe, die sie bei ihrem Onkel spürte. Irgendetwas bereitete ihm offenbar gehörige Sorgen. Sie hatte noch nie erlebt, dass er bei jedem Geräusch zusammenzuckte. Als ein Scheit im Feuer krachte, war er buchstäblich bis zur Balkendecke hochgesprungen. Onkel Bol war sonst ein tüchtiger Esser - wie er so viel essen konnte und dabei so drahtig und schlank blieb, war ein Geheimnis, über das jahrelang unter den weiblichen Verwandten der Familie gesprochen worden war -, aber heute Abend hatte er, genau wie Er’ril, den Braten auf seinem Teller kaum angerührt.
Onkel Bol kam zurück und brachte neue Teller und Gabeln. Ni’lahn folgte mit einem aufgeschnittenen Apfelstrudel. Der Duft von nachbrutzelnden Äpfeln und Zimt verbreitete sich im Zimmer. Selbst Er’rils Miene schien sich bei dem Aroma ein wenig aufzuhellen.
Diese neue Verzögerung, die Er’ril anscheinend sehr ärgerte, dauerte nicht lange. Die Platte mit dem Strudel war schnell geleert, und nach ausgiebigen Entzückensseufzern über den köstlichen Geschmack saßen um den Tisch herum nur zufriedene Gäste.
Onkel Bol stand auf. »Ich hoffe, ihr seid alle satt geworden.«
Zustimmendes Nicken antwortete ihm.
»Dann ist es wohl an der Zeit, dass ich euch eure Zimmer für heute Nacht
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