Alasea 02 - Das Buch des Sturms
Rauch ließ sich wie ein alter Freund in seiner Brust nieder. Es war guter Standi-Tabak, ein teures Blatt, das beste, das er seit langem geraucht hatte. In Anbetracht des Zustandes von Jastons kläglicher Behausung vermutete Er’ril, dass Tabak von dieser Qualität eine seltene Köstlichkeit für den Sumpfmann war. Er reichte die Pfeife zurück und ließ den Rauch zögernd aus der Lunge entweichen. Dabei stieß er einen langen, tiefen Seufzer aus. »Ein herrliches Gewächs«, sagte er.
Ein verlegenes Schweigen folgte, bis Jaston schließlich sprach. »Ich weiß, was du denkst, Präriemann. Ich habe vorhin dein Gesicht gesehen. Glaube nicht, es bleibt mir verborgen, wenn mich jemand als wertlos einschätzt.«
Er’ril schwieg. Er wollte nicht lügen oder sich verstellen. Elenas Sicherheit war ihm wichtiger als irgendwelche Höflichkeitsregeln.
»Da ich Angst hatte«, fuhr der Mann fort, »wurde ich fünf Winter lang mit solchen Blicken bedacht. Die anderen Sumpfleute riechen meine Angst und behandeln mich, als ob ich beide Beine verloren hätte. Sie winken und nicken mir zu, aber keiner will mit mir durch den Sumpf wandern. Diese Gegend ist kein Ort, wo man einen Mann als Rückendeckung haben möchte, dessen Hände zittern.«
Er’ril wusste, dass sich diese Worte seit langem in Jastons Brust eingenistet hatten und herausgelassen werden mussten, bevor eine Heilung beginnen konnte.
»Als ich zehn Jahre alt war, wurde mein Vater von einer wütenden Kro’kan-Mutter getötet. Sie riss ihm den Arm aus der Schulter. Er starb, bevor sein Kahn nach Trockenwasser zurückgestakt werden konnte.« Jaston zog an seiner Pfeife, als ob er alte Erinnerungen herbeiziehen wollte. »Doch selbst sein Tod war kein Anlass für mich, den Sumpf zu verfluchen. Ich bin mit dem Treibsand, dem Morast und Schlamm aufgewachsen. Das waren meine Spielplätze, meine Schule und letztendlich mein Lebensraum, in dem ich mein Dasein fristete. Die Sumpflandschaft wurde zu einem Teil von mir wie meine Hand oder mein Fuß. Versteh mich bitte nicht falsch. Ich habe den Sumpf geliebt, aber ich habe nie die Ehrfurcht vor seiner giftigen Seite verloren. Nur ein Toter macht das. Bei uns Sumpfbewohnern gibt es ein Sprichwort: ›Nicht du jagst den Sumpf, der Sumpf jagt dich.‹«
Jaston ließ seine Worte wirken. Die Tabakfäden in seiner Pfeife glühten heller auf, während er den Rauch tief in die Brust einsog.
»Also, was ist geschehen?« fragte Er’ril schließlich.
»Ich wusste immer schon, dass Leben und Tod ein Teil der Sumpflandschaft sind«, erklärte Jaston. »Sie ist wie eine Liebende, und ich rechnete fest damit, dass ich eines Tages in ihrer Umarmung sterben würde. Jeder Sumpfbewohner weiß, dass er sich ihrer Forderung letztlich nicht entziehen kann.« Jaston hielt inne, sog nachdenklich an seiner Pfeife und deutete dann auf die Narben in seinem Gesicht. »Dem Tod entgegenzusehen ist nicht schwer. Das hier hingegen schon.«
Er sprach mit belegter Stimme weiter. »Nach dem Angriff durch die Königsnatter rannten die Kinder vor mir davon, Frauen erschauderten, wenn ich an ihnen vorüberging, selbst Männer sprachen nur mit niedergeschlagenen Augen mit mir. Ich hatte gewusst, dass der Sumpf eine grausame Dame ist, doch nie hätte ich das wahre Ausmaß ihrer Grausamkeit vermutet. Mich am Leben zu lassen … aber nur als halber Mann, der ich jetzt bin.«
Er’ril deutete mit einem Nicken zu der Seite, wo ihm selbst der Arm fehlte. »Nicht alle Männer sind unversehrt.« Er erhob sich von den Bodenbrettern. Der Himmel im Osten rötete sich bereits durch die aufgehende Sonne.
»Vielleicht«, murmelte sein Gesprächspartner, »aber immerhin hast du noch ein menschliches Gesicht.«
Er’ril runzelte die Stirn und wandte sich zum Gehen.
Jaston hielt ihn am Bein fest. »Ich muss mit dir gehen«, sagte er. Anscheinend spürte er Er’rils Einstellung, was ihn betraf. »Ich gehe nicht, um zu sterben … oder um mir selbst irgendetwas zu beweisen. Ich folge dem Ruf der Hexe. Angeblich ist sie das Herz des Sumpfes. Vor fünf Wintern wurde mir das Leben durch Gift genommen. Ich will diese Hexe zur Rede stellen und verlangen, dass sie sich dafür verantwortet … auch wenn das meinen Tod bedeutet.«
Er’ril sah die Entschlossenheit in den Augen des Mannes und hörte die stählerne Härte in seiner Stimme. Wahrscheinlich war Jaston nur noch ein schwacher Abglanz des Mannes, der er einst gewesen war. Andererseits schlug ein schwaches Herz allein
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