Alasea 02 - Das Buch des Sturms
plötzlich. Der Stamm reckte sich an dem Zypressenzweig weiter vor und zog seine Blüte und die Ranken näher zu dem Kahn. Elena stieß einen leisen Angstschrei aus.
»Duck dich!« warnte Mikela und legte ihr eine Hand auf den Kopf, um sie tiefer zu drücken. Doch die Seiten des Kahns waren so niedrig, dass Elena immer noch sehen konnte, wie die Kriechblume sich zu ihnen reckte. Hunderte von Ranken, einige dicker als ihr Arm, entrollten sich tastend zu dem vorbeifahrenden Boot.
Jaston stieß mit seinem Stab die grapschenden Finger weg, während das Boot weiterglitt. Wo die Stake die Ranken berührte, schnappten diese nach ihr und versuchten, sich um sie zu schlingen, aber die glatt polierte Oberfläche bot den Dornen keine Angriffsfläche. Entschlossen schnellte eine dicke Ranke an der Stake vorbei und versuchte, sich um die Brust ihres Führers zu schlingen, doch Er’ril war mit gezücktem Schwert zur Stelle. Seine silberne Waffe blitzte auf, und die Ranke klatschte ins Wasser, mit einem Hieb der Klinge sauber abgetrennt. Jaston nickte zum Ausdruck seines Dankes dem Präriemann zu. Sobald sie an den letzten Ranken vorbeigeglitten waren, schüttelte Jaston die Reste der Mondblume von seinem Stab und spülte die Oberfläche im Wasser ab. »Schlafgift«, erklärte er. »Ich möchte es nicht in eine offene Wunde bekommen.«
Elena blickte über die Schulter zurück, während die Mondblume hinter der Biegung verschwand. Die Ranken ringelten sich vor Wut und Enttäuschung, die Blütenblätter schlossen sich für diesen Tag. Sie würde bis zum Einbruch der Nacht warten, um sich erneut zu entfalten und die Ahnungslosen mit ihrem süßen Duft zu betören. Elena erschauderte. Gab es hier denn gar nichts, das nicht danach trachtete, einen aufzufressen?
Bald gelangten sie in eine breitere Fahrrinne, wo eine leichte Strömung ihr Boot einfing und es in munterer Fahrt noch tiefer in den Sumpf hineintrieb. Jetzt benutzte Jaston den Stab nur noch, um zu steuern, und kaum noch zum Staken. Nun, da er nicht mehr so angestrengt arbeiten musste, wurde er gesprächiger - obwohl Elena den Verdacht hatte, dass er sich dadurch eher selbst ablenken wollte, als dass ihm an Geselligkeit gelegen war. Er erläuterte ihnen, welche Pflanzen heilkräftige Öle enthielten und welche Früchte beim ersten Bissen tödlich wirkten. Er ließ sich ausführlich über den Kro’kan aus, einen der größeren Sumpfräuber, einen angriffslustigen, geschuppten Fleischfresser mit rasiermesserscharfen Zähnen, der im Wasser jagte, jedoch an schlammigen Ufern hauste. Er war seinerseits eine begehrte Beute für die Sumpfbewohner, da seine Haut ein hervorragendes Leder abgab und sein Fleisch äußerst nahrhaft war. Jaston sprach sogar über ihre Paarungsgewohnheiten. »Ein Paar bindet sich fürs Leben«, erklärte er. »Wenn man sie erjagt, muss man sowohl das Männchen als auch das Weibchen töten, sonst lässt einen der überlebende Partner nicht in Ruhe. Es sind rachelüsterne Geschöpfe. Doch am schlimmsten ist ein brütendes Weibchen. Es greift ein Boot schon allein deshalb an, weil es zu nah an seinen Eiern vorbeifährt. Nur sehr erfahrene Sumpfbewohner gehen auf Kro’kan-Jagd.«
»Hoffentlich begegnen wir keinem Kro’kan«, sagte Elena.
Bei dieser Bemerkung hob Jaston die Augenbrauen. »Aber wir sind doch bis jetzt schon an fünfzehn vorbeigekommen.«
Elenas Mund klaffte auf. Sie hatte keinen einzigen gesehen.
»Sie verstecken sich im verschlammten Schilf.« Jaston hielt die Stake deutend ausgestreckt. »Da ist gerade einer.«
Er musste genauere Hinweise geben, damit sie das Paar schwarzer Augen sehen konnte, das zwischen den Schilfbündeln hervorspähte. Die geschuppte Schnauze ragte kaum aus dem Wasser heraus. Das Tier lag reglos wie ein Stein da, der Rumpf war unter Wasser verborgen, doch der dicke gepanzerte Schwanz reichte bis ans Ufer hinter ihm. Es musste mindestens so lang wie das Boot sein.
»Ein junges Männchen«, erläuterte Jaston und musterte das Wesen abschätzend. »Ich bezweifle, dass es überhaupt schon eine Partnerin hat. Ein ausgewachsenes Tier erreicht die doppelte Länge, und ich habe sagen hören, dass Kro’kan-Riesen noch größer werden können - so groß, dass sie dieses Boot im Ganzen verschlingen könnten.«
Elena schmiegte sich näher an Mikela.
Er’ril hatte diese Naturschilderungen allmählich satt. »Weißt du, wohin unser Weg uns führt?« fragte er Jaston.
Der narbige Mann nickte. »Wir bewegen uns hier auf
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