Alasea 02 - Das Buch des Sturms
gewandeten Bruder.
Einem Ordensbruder wurde nirgendwo der Zugang verwehrt.
Greschym neigte dankend den Kopf und schritt durch das Portal ins Licht der Sonne. Der Junge folgte ihm mit seinem üblichen schlurfenden Schritt. Blinzelnd spähte Greschym in den Großen Hof, und dabei fiel ihm noch ein Grund ein, warum er diesen Ort hasste. Als Sprenkel, wie weißer Schimmel auf einem alten Leichnam, wandelten andere seiner weiß gewandeten Brüder durch diese Überreste eines Parks. Er hatte vergessen, wie belebt der Innenhof sein konnte, besonders wenn sich der Meeresnebel hob und die Sonne hell schien.
Er unterdrückte ein Stöhnen und schritt tiefer in den Garten hinein.
»Bruder Greschym?« ertönte eine Stimme zu seiner Linken. Er hörte das Scharren lockerer Steine, als jemand am Rand eines der mit Kieseln belegten Wege aufstand. »Wie erfreulich, dich gesund und munter zu sehen! Heute hat die Sonne alle herausgelockt.«
Greschym wandte sich dem Sprecher zu, zog jedoch den Rand seiner Kapuze tiefer, um sein Gesicht teilweise zu verbergen. Wie hatte der verfluchte Narr ihn erkannt? Dann fiel ihm der Junge ein. Natürlich, jeder kannte seinen schwachsinnigen Diener. Auch jetzt bemerkte er den mitleidsvollen Blick, mit dem der Mann den von einem Zauberbann belegten Jungen betrachtete.
»Ach, Bruder Wonnig«, sagte Greschym und bemühte sich, sich seine Verärgerung nicht anmerken zu lassen. »Ein herrlicher Tag, wirklich. Wie hätte ich da widerstehen können? Meine alten Knochen sehnen sich nach Wärme und haben mich hierher geschleppt.«
Der rundliche Mann, der die Kapuze zurückgeworfen hatte, um die Sonne zu genießen, lächelte. Haare von der Farbe getrockneten Schlamms lagen spärlich auf seinem nackten Schädel, und seine Augen standen zu weit auseinander. Er sah aus wie eine überraschte Kuh, dachte Greschym.
Plötzlich riss der Mann mit dem schütteren Haar die Augen weit auf. »Oh! Dann hast du es also noch nicht vernommen!«
Greschym stöhnte innerlich. Gerüchte rasten wie wild gewordene Hunde durch die Gänge der Burg und stürzten sich auf jeden, der ihnen in den Weg kam. Er hatte keine Zeit für solchen Unsinn und tat so, als hätte er die Worte des anderen nicht gehört. In seinem Alter konnte er durchaus glaubhaft Taubheit mimen. »Ich … ich sollte besser gehen, bevor mich meine alten Beine im Stich lassen. Die Feuchtigkeit des Winters macht meinen knirschenden Knien immer noch zu schaffen.« Er stützte sich übertrieben schwer auf seinen Stock.
»Nun, dann ist ein kleiner Spaziergang im Garten genau das, was du brauchst«, entgegnete Bruder Wonnig aufmunternd. »Ich begleite dich.«
»Sehr liebenswürdig, aber das ist nicht nötig. Ich habe meinen Jungen hier.« Er wollte sich abwenden.
»Unsinn. Ich muss dir den Koa’kona-Baum zeigen. Den darfst du dir nicht entgehen lassen.«
Greschym zuckte bei diesen Worten beinah merklich zusammen. »Ich habe keine Zeit …«
»Ach, dann hast du es wirklich noch nicht gehört, stimmt’s?« Das Frohlocken von jemandem, der ein Geheimnis zu enthüllen hat, schwang satt in Bruder Wonnigs Stimme mit. »Komm mit! Komm und sieh! Es grenzt an ein Wunder. Das Omen eines gütigen Schicksals.«
So sehr Greschym es auch ablehnte, bis auf Steinwurfnähe an den unheimlichen toten Baum in der Mitte des Gartens heranzugehen, weckte Bruder Wonnigs Erregung doch seine Neugier. Was plapperte der Dummkopf da? »Was soll das Gerede von einem guten Omen?«
»Ich möchte die Überraschung nicht verderben. Du musst es mit eigenen Augen sehen.« Bruder Wonnig ging auf dem kiesbedeckten Weg voraus, seine Schritte knirschten laut in der Stille.
Greschym folgte dem rundlichen Mann. Er verbarg sein widerwilliges Gesicht und bedeutete dem Jungen mit einer Handbewegung, ihm auf den Fersen zu bleiben. Von allen Spuren alter chirischer Magik war der Koa’kona-Baum im Herzen des Gartens die bedeutendste. Seine Äste hatten sich einst hoch hinauf zum Himmel gereckt, höher als alle Türme der Stadt. Bis zu seinem Tod war sein Stamm so dick geworden, dass zehn Männer mit ausgestreckten Armen ihn nicht hätten umfassen können. Der gewaltige Baum hatte einst den gesamten Garten in den Schatten seiner grünen und silbernen Blätter getaucht, und bei Nacht hatten sich seine purpurroten Blüten geöffnet und wie tausend Saphirsterne geleuchtet.
Für die Bewohner von A’loatal war der Baum das lebendige Herz der Stadt gewesen.
Aber so majestätisch der Baum auch erschien, war
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