Alasea 03 - Das Buch der Rache
flog zurück in Richtung Burg und hielt auf einen der sonnenbeschienenen Türme der Stadt zu.
Er’ril kniff die Augen zusammen, um zu sehen, was Schorkan zurückhielt, und erblickte zwei kleine Gestalten auf einem Turm ganz in der Nähe. Er sah einen Stab in der Hand eines rothaarigen Jungen.
Joach.
Als er Elenas Bruder erkannte, verzerrte sich das Bild auf seltsame Weise und wurde plötzlich gestochen scharf. Dies war Joachs Traum. Er’ril hatte gedacht, er könnte die Pfade des Schicksals verändern, indem er Joach verließ. Doch der Traum wurde trotzdem wahr.
Er’ril musste sich mit beiden Händen an der Steinbrüstung festhalten. Er schaute nach der anderen Gestalt auf dem Turm. Gemäß Joachs Traum musste es Elena sein. Aber als Er’ril Joachs Begleitung näher betrachtete, klopfte ihm das Herz plötzlich bis zum Hals. Neben Joach stand keine Frau! Er’ril sah, wie gebeugt der Rücken des Mannes war, der dort stand. Licht fiel auf sein kahles Haupt. Aber am sichersten erkannte Er’ril den Mann an seiner schwarzen Robe. »Greschym!«
Seine Beine wurden plötzlich schwach, als ihm einfiel, dass er dem Jungen das Buch des Blutes überlassen hatte. Was führte Joach mit Greschym im Schilde? War der Junge gar ein Verräter?
Er’ril stolperte von der Brüstung zurück. Er fuhr herum und stürzte zur Falltür. Irgendetwas stimmte hier nicht.
Er musste sie aufhalten!
Der Präriemann raste durch Schorkans Arbeitszimmer und flog die Turmtreppe förmlich hinunter. Ihm war klar, dass das Schicksal A’loatals von seiner Schnelligkeit abhing, doch erinnerte er sich auch an den Rest von Joachs Traumgewebe: Er’ril war dazu verdammt, auf dem Turm in einem Meer aus Dunkelfeuer zu sterben.
Und obwohl er sein Los kannte, raste Er’ril weiter.
Es schien, dass das Schicksal noch nicht fertig war mit ihm.
Im Burghof griff sich Elena vor Schreck an die Kehle. Vor wenigen Augenblicken hatte ein brausender Windstoß sie nach oben blicken lassen, und sie hatte gesehen, wie die Wyvern Statue den Turm verlassen hatte. Nun kam sie jedoch zurück und schwebte auf die Mauern der Burg zu.
Was hatte Er’ril getan? War das sein Werk?
Das Herz schlug Elena bis zum Hals. Sie musste fortwährend an Joachs Traum denken. Ihr Bruder hatte immer darauf beharrt, dass sein Albtraum ein prophetisches Gewebe war, und nach Joachs Beschreibung bestand der erste Teil seiner Vision aus einem Angriff eines schwarzen Schattenungeheuers. Elena starrte hinterher, als der Wyvern abdrehte.
Der Traum wurde wahr.
Irgendwie hatte Er’ril das Untier zum Leben erweckt. Ob er es mit böser Absicht getan hatte oder ob es ein Zufall war, wusste Elena nicht. Sie wusste nur eines sicher: Joachs Albtraum wurde nun Wirklichkeit. Sie lief über den Burghof zum Eingang zurück, der in die Katakomben führte. Sie konnte nicht mehr länger warten. Sie wusste, wohin sie gehörte. Das Schicksal rief sie. Sie musste ihre Rolle auf dem Turm der Dahingeschiedenen übernehmen. Sie musste Joach zu Hilfe eilen.
Über ihr öffnete der Wyvern seinen schwarzen Schnabel und stieß einen stummen Schrei aus. Dann tauchte er hinter der Burgmauer hinab und verschwand aus ihrem Blickfeld.
Es hatte begonnen.
Elena drehte sich um und rannte, so schnell es ihr verwundetes Knie zuließ. Er’ril hielt sich zwar noch in der Burg auf, aber Elena hatte nicht das Gefühl, dass sie ihn im Stich ließ. Auf gewisse Weise lief sie ihm ja entgegen. Es war schließlich ihr Schicksal, dass sie sich oben auf dem benachbarten Turm trafen. Diesem Zusammentreffen konnte Elena nicht entrinnen!
Joachs Traum spielte sich immer und immer wieder vor ihrem inneren Auge ab. Sie wusste, wie er endete: mit Er’rils Tod. Elena umklammerte den Eisenschlüssel in ihrer Faust fester und rannte schneller. Wenn ihr Schicksal in Granit gemeißelt sein sollte, dann würde Elena diesen Stein mit all ihrer Magik zerstören. Sie würde nicht zulassen, dass Er’ril getötet wurde, wenn er ihnen noch wohlgesinnt war. Das schwor sie sich.
Aber so entschlossen sie auch war, ein Teil von ihr bebte vor Angst. Wie konnte sie das herausfinden? Wie konnte man das Herz eines anderen prüfen? Elena schob diese Zweifel beiseite.
Sie musste einen Weg finden.
26
Joach stand mitten im Abendrot des Sonnenuntergangs. Im Westen glühte der Himmel, die Sonne versank langsam im Meer. Was der Junge unterhalb des Turmes beobachten konnte, verschlug ihm schier den Atem. Über dem Meer jenseits der Stadt hatte sich bereits
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