Alasea 03 - Das Buch der Rache
einen Blick zu der verwundeten Frau und war froh, dass sie nicht die wahre Elena war. Er wusste nicht, ob er den Schmerz, seine eigene Schwester getötet zu haben, jemals hätte verwinden können.
Doch Er’ril störte diese Erleichterung wohl. »Antworte dem Jungen, Dunkelmagiker!«
Joach wandte sich Er’ril zu und erhob drohend den Stab. »Hör auf mit diesem Maskenspiel, Präriemann. Elena hat mir die richtige Antwort gerade gegeben.«
Er’ril runzelte die Stirn. »Er spielt mit deinen Gedanken wie auf den Saiten eines Musikinstruments. Er hat kein Wort gesagt und dich mit einer List abgespeist, damit du denkst, du hättest die richtige Antwort gehört.« Der Präriemann nickte zu der ohnmächtigen Elena hinunter. »Dies hier ist deine Schwester, Joach. Nicht dieses Monstrum dort. Aber nun stirbt sie. Wenn du sie liebst, bring mir das Buch. Vielleicht birgt es eine Möglichkeit, sie zu retten.«
»Tu es nicht, Joach!« warnte die andere Elena. »Er will dich in eine Falle locken.«
Nun tanzten Joachs Gedanken nur noch im Kreis. Wem sollte er glauben? Wenn Er’ril ihm Schaden zufügen wollte, warum hielt er dann die junge Frau im Arm? Das ergab alles keinen Sinn. Er packte den Stab fest mit beiden Händen. Wie sollte er nur die Wahrheit herausfinden?
Er’ril blickte zu ihm auf, nicht wütend, sondern flehend. »Sie stirbt, Joach. Du musst dich entscheiden.«
»Aber mein Traum…«, murmelte er.
»Es ist schwer, Träume richtig zu beurteilen, Joach, und Traumgewebe erst recht. In deiner Vision verteidigtest du Elena, aber in Wahrheit war es dieser Magiker, der als deine Schwester verkleidet war. Träume stecken voller Trugbilder.«
Joach dachte über Er’rils Worte nach. Das Argument des Präriemannes war ihm vertraut und traf ihn mitten ins Herz. Hatte ihm nicht schon einmal jemand einen ähnlichen Rat gegeben? Aber wer? Dann erinnerte sich Joach. Er nahm die verletzte Hand vom Stab und fasste in seine Hosentasche. Was er suchte, war noch da.
Er zog die Hand heraus, öffnete die Handfläche und starrte auf die große, schwarze Perle, die er vor nicht allzu langer Zeit von Xin bekommen hatte. Der Zo’ol Stammesweise hatte ihm versprochen, dass die Kraft der Perle sie verbinden würde, wenn die Not groß war. Joach ballte die Hand um den Schatz zur Faust und sprach den Namen des Freundes aus: »Xin!«
Doch nichts geschah. Joach öffnete die Hand und blickte erneut auf die Perle. Er war ein Narr.
Doch dann hörte er die Worte, die leise aus der Schwärze des Juwels drangen. Joach, Sohn des Morin’stal, ich fühle den Sturm in deinem Herzen.
Mit einem Mal quollen die Worte nur so über Joachs Lippen.
»Xin, mein Traum… Ich kann nicht mehr unterscheiden, was echt und was Täuschung ist. Kannst du mir helfen?«
Elena unterbrach ihn. »Joach, was tust du da?«
Joach achtete nicht auf sie und lauschte der Perle. »Ich kann dir von hier aus nicht helfen«, antwortete Xin. »Aber dein Herz kann es, Joach.«
»Wie?«
»Achte nicht auf das, was dein Verstand dir sagt. Hör auf dein Herz. Dort allein liegt die Wahrheit.«
Joach fand keine Worte, die er Xin hätte zukommen lassen können. Er steckte die Perle zurück in die Tasche. Wie konnte er einen Rat befolgen, den er nicht einmal verstand? Er blickte die bekleidete Elena an. Ihr Gesicht, ihre Stimme, ihre Eigenarten, alles schien zu stimmen. Sie erinnerte ihn an seine Heimat, an alles, was er einst geliebt hatte. Dies war die Schwester aus seiner Vergangenheit. Er konnte nichts Falsches an ihr feststellen.
Dann wandte er sich der sterbenden jungen Frau zu. Was empfand er für sie? Er versuchte hinter ihren geschundenen Körper zu blicken. Mit ihren Worten und ihren flehenden Augen hatte sie Mut bewiesen, Selbstlosigkeit und eine Liebe, die selbst ihrem eigenen Mörder verzeihen konnte. Dies war eine Frau, die Joach kaum kannte. Sie stammte nicht aus seiner Vergangenheit.
Dann dämmerte ihm langsam die Wahrheit. Sie blendete ihn fast, so klar wurde sie.
Xin hatte Recht gehabt.
In Er’rils Armen lag nicht die Schwester aus seiner Vergangenheit, sondern die der Gegenwart. Die andere Elena hingegen war ein Hirngespinst, zusammengebastelt aus alten, vertrauten und tröstenden Erinnerungen, die jemand aus seinen Gedanken gestohlen hatte. Doch so war Elena nicht mehr. Joach kannte die Frau kaum, zu der sich Elena während ihrer Reise hierher entwickelt hatte. Im Grunde wollte er in ihr noch immer die kleine Schwester sehen, die er beschützen
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