Alasea 04 - Das Buch der Prophezeiung
den Arm, sein Mund öffnete sich … Kesla spürte, wie sich die winzigen Härchen in ihrem Nacken sträubten. Joach deutete auf den Hang in ihrem Rücken.
Sie drehte sich blitzschnell um und ließ sich fallen.
»Pass auf!« gellte Joachs Schrei hinter ihr.
Ein Koloss brach aus der Düne hervor, eine wahre Mauer aus Muskeln und Zähnen. Der Leithai schnellte, blind vor Zorn und Blutgier, in voller Länge in die Luft und flog auf Kesla zu. Sein riesiges Maul war weit aufgerissen und ließ mehrere Reihen messerscharfer Zähne sehen. Der Abstand zwischen den Kiefern war so groß, dass Kesla aufrecht hätte hineinspazieren können.
Stattdessen sprang sie, immer noch geduckt, nach vorn unter dem Maul hindurch. Und als der Hai über sie hinwegflog, stieß sie den Dolch mit aller Kraft nach oben. Das Nachtglas mit dem Magik Kern durchschnitt die Haut des Ungeheuers so mühelos, als wäre es Luft.
Die schwarze Klinge schlitzte den Bauch des Ungeheuers von vorn bis hinten auf, doch die Schwanzspitze traf Kesla an der Schulter und schleuderte sie hart zu Boden. Dabei wurde ihr der Dolch aus der Hand geschlagen und flog in hohem Bogen davon.
Jetzt war sie waffenlos. Sie rollte sich auf den Bauch. Sterne tanzten ihr vor den Augen. Der Hai schlug mit voller Wucht am Fuß der Düne auf. Blut und Gedärme quollen ihm aus dem Leib. Zunächst zuckte er noch und schlug die riesigen Zähne in den Sand. Die Zuschauer wichen ängstlich zurück. Doch bald wurden seine Bewegungen schwächer, und die Blutlache breitete sich immer weiter aus.
Kesla kam auf die Beine. »Jetzt müssten wir für eine Weile Ruhe haben«, keuchte sie. »Das Blut des Leittiers wird die anderen fern halten. Aber die Haie sind nicht die einzigen Räuber hier. Wir dürfen nicht länger verweilen.«
Joach sammelte den Dolch auf, dann kam er zu ihr und reichte ihr den Arm. »Was du eben getan hast … Diese Schnelligkeit …«
Sie lächelte schwach. »Siehst du jetzt endlich ein, wozu die Fähigkeiten einer Meuchlerin gut sein können?«
Hant kam von der anderen Seite auf sie zu. Er hielt Scheschon in den Armen. Auf dem Gesicht der Kleinen mischten sich Sand und Tränen. Sie musterte den Haikadaver mit empörtem Blick. »Böser großer Fisch«, schalt sie in kindlichem Zorn und hielt sich die Nase zu. Der Gestank war unerträglich.
Kesla wollte ihr über die Wange streichen, aber plötzlich zitterten ihr vor Erschöpfung die Knie, und sie fiel nach hinten.
Joach fing sie auf. »Ich habe dich«, sagte er.
Kesla sah ihm fest in die Augen. »Danke.«
Er schob ihr den Nachtglasdolch unter den Gürtel. »Ich glaube, den solltest du behalten. Du hast ihn dir ehrlich verdient.«
Es war ein echter Vertrauensbeweis. Kesla warf einen Blick auf die Waffe, die Tränen stiegen ihr in die Augen. Sie wandte sich ab und räusperte sich verlegen. »Wir … wir sollten so bald wie möglich aufbrechen.« Sie richtete sich auf und sah den toten Hai an. »Bei den Stämmen gibt es ein altes Sprichwort: ›In der Wüste bleiben nur die Toten an einem Ort.‹«
»Dann lasst uns das Lager abbrechen«, sagte Kast und ging mit Saag wan voran zum qualmenden Wrack der Wilder Adler.
Joach blieb an Keslas Seite. Sie spürte, wie er sie ansah, während sie den anderen folgten. Der dumpfe Groll in seinen Augen war verschwunden an seine Stelle war ein Ausdruck getreten, den sie zum letzten Mal beobachtet hatte, als sie in der Ordensburg von A’loatal die Rolle des Küchenmädchens spielte.
Sie betrachtete ihn aus dem Augenwinkel. Joach ging mit schlurfenden Schritten und nachdenklicher Miene neben ihr her und nagte an seiner Unterlippe. Ein kleines Lächeln erhellte ihre Züge, und sie wandte sich rasch ab, damit er es nicht bemerkte.
Belgan stand an seinem hohen Fenster und schaute hinaus auf die Wüste um den Alkazar. Der Mond stieg fast voll am Himmel empor und tauchte Sand, Dünen und Felsen in sein silbernes Licht. Es war so hell, dass man weit in die Ferne sehen konnte. »Wo bist du, Kesla?« flüsterte der Gildemeister. Er fand in dieser Nacht vor Sorge keinen Schlaf. Die Wahrsageknochen des Schamanen hatten eine Mischung aus guten und bösen Vorzeichen ergeben. Kesla hatte die Wüste erreicht aber in Sicherheit war sie noch lange nicht.
Der Schamane hatte den Alkazar verlassen, nachdem er die Knochen gelesen hatte. Er wollte einige seiner Stammesleute ausschicken, damit sie nach dem Mädchen Ausschau hielten. Belgan hoffte inständig, dass man sie wohlbehalten finden würde
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