Alasea 04 - Das Buch der Prophezeiung
Ni’lahns Baum das Herz herauszuschneiden, auf dass Ni’lahn durch Alaseas Landschaften ziehen und nach Heilung für ihren dem Untergang geweihten Wald suchen könne.«
Ni’lahn starrte in die Flammen. »Cäcilias Prophezeiung war der eigentliche Grund, warum ich auf Wanderschaft ging.« Sie hob den Kopf und sah Rodricko an. »Aber was ist mit dir? Warum bist du nicht fortgegangen? Deine Arbeit hier war doch getan.«
»Das dachte ich auch, doch wie gesagt, der Baum rief mich und bat mich um einen letzten Dienst.«
»Und was war mit den Grim?« fragte Kral.
»Die kommen nicht hierher. Ni’lahns Baum erinnert sie zu sehr an das, was sie verloren haben. Da er hoch aufgerichtet dasteht, während alle anderen verkrümmt und entstellt sind, ist sein Anblick den Geistern unerträglich. Also bleiben sie ihm fern.«
Mogwied kniete vor dem Feuer nieder, um nach den Kastanien zu sehen. »Aber das alles?« Er wies mit dem Kopf auf die Einrichtung. »Du musst doch viele Reisen unternommen haben, um die Sachen hierher zu bringen. Und auch die Kastanien und den Wein.«
Rodricko nickte. »Jeden Winter wandere ich zweimal zu den Bergdörfern, um Vorräte zu holen. Inzwischen allerdings nicht mehr, um genau zu sein.«
Mogwied setzte sich auf die Fersen zurück und kniff misstrauisch die Augen zusammen. »Und die Geister haben dich auch auf den Waldwegen nicht angegriffen?«
»Ich stand auch dort unter dem Schutz des Baumes.«
»Wieso?« fragte Mogwied schrill.
Rodricko hob die Holzkrücke, die er zwischen seine Beine gestellt hatte, und klopfte damit auf den Boden. »Als ich Ni’lahns Laute aus dem Herzen des Baumes schnitt, hieb ich auch einen Ast ab und machte mir einen Spazierstock daraus.« Er nahm die Hände von dem Krückstock. Dicht unterhalb des Griffs kam ein einzelner grüner Trieb zum Vorschein.
Ni’lahn beugte sich über den Stock. »Frisches Laub!« Aus dem toten Holz wuchs ein winziges Büschelchen grüner Blätter. Sie waren nicht länger als ein Fingernagel, aber es war unverkennbar Koa’kona Laub. »Wie …«
»Ein bisschen Magik und ein bisschen Seele erhalten es am Leben.«
Ni’lahn ging noch näher heran dann sah sie den Holzschnitzer erschrocken an. »Es zehrt von deiner Seele!«
»Seine Magik allein genügte nicht.« Er stellte den Krückstock auf den Boden zurück.
Kein Wunder, dass der Mann seit ihrer letzten Begegnung so sichtbar gealtert war. »Aber warum?« fragte sie. »Was ist dir so wichtig daran?«
Er wich ihrem Blick nicht aus. »Es gibt mir Hoffnung.«
»Hoffnung worauf?«
Rodricko lehnte sich zurück und schloss die Augen. »Meine Familie dient dem Wahren Tal seit Menschengedenken. Es ist auch unsere Heimat. Wenn eine Möglichkeit bestünde, den Hain zurückzuholen, gäbe ich alles dafür, sogar mein eigenes Blut.«
»Aber ich verstehe immer noch nicht, was mein Baum von dir wollte.«
Er schlug die Augen auf. »Es ist einfacher, wenn ich es dir zeige.« Rodricko stand mühsam auf. »Komm mit. Da oben liegt die Antwort auf alle Fragen.«
Ni’lahn spürte ein leises Unbehagen, aber sie unterdrückte es und stand auf.
Der alte Holzschnitzer ging zu einer schmalen Wendeltreppe, die über der Stube mit der Feuerstelle in einem Flur endete, und stieg ohne ein weiteres Wort hinauf. Alle folgten ihm.
Ni’lahn hörte, wie Mogwied murmelte: »Das gefällt mir gar nicht.«
Von dem Flur zweigten rechts und links kleine Zimmer ab. Doch Rodricko ging auf die Tür geradeaus zu und legte die Hand auf die eiserne Klinke. Er sah Ni’lahn an. Aus seinen Augen sprach tiefer Schmerz und noch etwas.
Ihre Vorahnung verstärkte sich.
»Es tut mir Leid«, sagte er und zog die Tür auf. »Du gehst am besten als Erste hinein.«
Hinter der Tür befand sich ein rundes Kämmerchen, ähnlich der Stube mit der Feuerstelle, nur kleiner. Auch hier verband ein Pfeiler in der Mitte Fußboden und Decke. Und auch hier war aus dem Holz eine Vertiefung herausgeschnitten, eine kleine Höhle, in der höchstens ein Kürbis Platz gefunden hätte.
Aus der Öffnung fiel ein sanfter, schwach violetter Schein.
Ni’lahn kannte dieses Licht. Es hatte den gleichen Farbton wie ein blühender Koa’kona Baum. Sie trat näher. Die kleine Höhle war nicht leer.
Hinter ihr sagte Rodricko: »Fast einen vollen Winter lang reichten die Magik, die der Baum in seiner Wurzel gespeichert hatte, und die Reste seiner Seele noch aus, um das Laub zu erhalten und sogar Blüten sprießen zu lassen.«
Ni’lahn sah über die
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