Alasea 04 - Das Buch der Prophezeiung
folgte ihm.
»Er ist nicht allein«, fügte Richald überflüssigerweise hinzu.
Jetzt kamen auch die anderen heran. Alle wollten wissen, was Innsu in dem kleinen, am Ufer des Sees gelegenen Dorf Cassus erfahren hatte. Sie zogen schon seit einem halben Mond über Land und hatten abgesehen von einigen Nomaden wenig Kontakt mit den Wüstenstämmen gehabt. Nun hungerten sie nach Neuigkeiten.
Joachs Blick wanderte über die Dünen und die endlosen Sandflächen. Kesla kam zu ihm. Er hörte ihren Atem, das Rascheln ihres Umhangs. Wieder fiel es ihm schwer, der Offenbarung des alten Schamanen Glauben zu schenken, wonach sie nicht mehr als der Fleisch gewordene und mit Leben erfüllte Traum des Landes war, nur erschaffen, um ihn selbst in die Wüste zu locken.
Er beobachtete sie aus dem Augenwinkel: ihr Haar, das im hellen Sonnenschein wie gehämmertes Gold strahlte, die glatte bronzefarbene Haut, die mitternachtsblauen Augen. Sie wusste ja nicht einmal selbst, was sie in Wirklichkeit war. Sie hielt sich für einen ganz normalen Menschen und ihm ging es die meiste Zeit nicht anders.
Traum oder nicht, sooft er sie ansah, tat ihm das Herz weh, und das ließ sich nicht so ohne weiteres abstellen. Selbst in diesem Moment spürte er den Kuss, den sie ihm vor der Flucht aus dem Alkazar auf die Wange gedrückt hatte. Wie gern hätte er ausgelotet, wie dieses stumme Versprechen zu verstehen war. Aber das waren Albernheiten. Er ballte die Fäuste.
Die dumpfen Hufschläge der Malluken rissen ihn aus seinen Gedanken. Innsu und der Fremde trieben die plumpen Tiere den flachen Dünenhang herauf. Beide Malluken hatten Schaum vor dem Maul und waren schweißnass. Innsu rutschte aus dem Sattel und landete geschickt auf den Füßen. Der Meuchlergeselle schob sich die Kapuze aus dem Gesicht. Er wirkte tief besorgt.
Kesla trat zu ihm. »Was ist passiert?«
»Eine Katastrophe«, antwortete Innsu und fuhr sich mit der Hand über den kahl geschorenen Kopf. »In Cassus heißt es, letzte Nacht seien geflügelte Dämonen in Dallinskrie eingetroffen, bösartige hellhäutige Geschöpfe, und hätten die ganze Stadt nach Kindern abgesucht. Wer sein Kind nicht herausgeben wollte, wurde getötet.«
»Und die Kinder?«
»Sie wurden mitgenommen und zu denen gesperrt, die bereits bei den Nachbarstämmen für den Tribut zusammengeholt worden waren.«
»Aber warum?« fragte Kesla erschrocken. »Der Pakt …«
Innsu schüttelte den Kopf. »Ich kenne nicht die ganze Geschichte. Ich weiß nur, dass heute Morgen alle Kinder abgeholt wurden. Ihre Karawane hat sich bereits, von den Dämonen angetrieben, auf den Weg gemacht.«
Joach räusperte sich und runzelte die Stirn. »Wenn sie so viele Kinder brauchen, muss in Tular etwas Ungewöhnliches geschehen sein.«
»Aber was?« fragte Kesla.
»Wenn nur Schamane Parthus hier wäre«, murmelte Joach.
Der Stammesälteste war in der Oase Oo’schal zurückgeblieben. Er hatte behauptet, er würde dort gebraucht. Der Alkazar und Gildemeister Belgan benötigten seine Hilfe, um den schädlichen Einfluss des Dunkelmagikers zu überwinden. Doch an dem Abend, als die Gruppe aufbrach, hatte Parthus Joach beiseite genommen. »Ich werde in der Traumwüste nach dir Ausschau halten. Und ich werde dir helfen, so weit es in meinen Kräften steht.« Und der Schamane hatte Wort gehalten. Jede zweite Nacht hatte er in der Traumwüste auf Joach gewartet, um ihn einzuführen in die Kunst, aus Träumen Realitäten zu schaffen.
Jetzt hätte Joach den weisen Schamanen gern um Rat gefragt. Als sie vor vielen Tagen die Oase verließen, hatten sie nur einen einzigen Plan gehabt: Sie wollten Scheschon als eines der Opfer in die für diesen Mond zusammengestellte Kinderschar einschleusen, um sich dann als Teil der Begleitkarawane unbemerkt an Tular heranschleichen zu können. Aber wenn die Kinder bereits unterwegs waren …
»Was machen wir jetzt?« fragte Kast. Saag wan hing an seinem Arm.
Innsu wies auf den Fremden, der noch auf seinem Malluk saß. »Das ist Fess a’Kalar, er fährt in Cassus eines der Gleitboote. Er ist bereit, uns alle über den Aii’schan zu setzen. Die Karawane zieht auf dem Landweg um den See herum. Vielleicht können wir sie auf diese Weise überholen und ihr den Weg abschneiden.«
»Aber mein Dienst ist nicht umsonst«, erklärte der Mann im Sattel mit düsterer Stimme.
Innsu nickte.
»Was verlangst du dafür?« fragte Joach misstrauisch.
Der Mann warf seine Kapuze ab. Sein schwarzes Haar war kurz
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