Alasea 04 - Das Buch der Prophezeiung
habe ich wenig Verständnis für deine Spielchen.«
Joach sah die weiße Hand erschrocken an. »Süße Mutter … Dann war es doch nicht bloß ein dummer Streich«, murmelte er.
»Was?« fragte sie gereizt und entzog Er’ril ihren Arm.
»Jemand niemand hat ihn gesehen hat ein langes Messer in den Handabdruck gestoßen, den du in den Tisch im Großen Saal gebrannt hast.« Joach konnte den Blick nicht von ihrer Hand wenden. »Ich dachte, man wollte dich nur verhöhnen.«
Elena rieb sich die Handfläche mit den Fingern der anderen Hand. Dann sah sie Er’ril an.
»Joach hat Recht«, grollte der Präriemann. »Wir sollten uns das lieber selbst ansehen.«
»Was hältst du von alledem?« fragte Joach.
Er’rils Stimme bebte vor Zorn. »Es heißt, dass wir zu lasch waren«, sagte er schroff. »Wir haben unseren vermeintlichen Verbündeten zu sehr vertraut. In unserer Mitte befindet sich ein Verräter jemand, der es wagt, hier seine schwarzen Künste auszuüben.« Er’ril schritt zur Tür. »Gehen wir.«
Elena blieb stehen. »Warte.« Sie wandte sich ihrem Schlafgemach zu. »Ich habe noch etwas zu erledigen.«
Er’ril drängte sich rücksichtslos durch die Menge, die sich vor den Türen zum Großen Saal versammelt hatte. Elena folgte ihm, von Gardisten flankiert. Sie trug schlichte, aber zweckmäßige Reitkleidung: braune Kalbslederstiefel, schwarze Hosen und eine dazu passende Jacke. Das Haar hatte sie am Hinterkopf zu einem strengen Zopf geflochten, der die goldenen Sprenkel in ihren grünen Augen zusätzlich betonte. Die Hände steckten in Reithandschuhen aus braunem Kalbsleder, sodass niemand sehen konnte, wie sie sich verändert hatten.
Am Eingang angekommen, musterte Er’ril seinen Schützling mit anerkennendem Blick. Sie hatte gut daran getan, sich oben im Turm die Zeit zum Umkleiden zu nehmen. Diesmal wollte sie gebieterisch auftreten, nicht weiblich und zart wie sonst immer. »Wenn wir einen Verräter unter uns haben«, hatte sie erklärt, »soll er sich fragen, ob er sein Ziel wirklich erreicht hat. Und selbst wenn der Abtrünnige geflohen ist, empfiehlt es sich, vor denen, die noch geblieben sind, Entschlossenheit zu demonstrieren.«
Er’ril hielt Elena die Tür auf und folgte ihr in den nahezu leeren Saal. Nur die Anführer ihrer verlässlichsten Verbündeten waren anwesend: Kast stand neben dem Großkielmeister der Blutreiter; Saag wan stand neben Meister Edyll, dem Ratsältesten der Mer’ai; und Merik stand neben seiner Mutter, der Elv’en Königin Tratal. Elena ging zum Kopfende des Tisches. Er’ril blieb an ihrer Seite.
Alle schwiegen und beobachteten Elena besorgt.
Sie warf einen Blick auf Er’ril, dann beugte sie sich über das Messer.
Der lange Griff ragte senkrecht aus der Tischplatte. Elena ging ganz nahe heran und studierte seine Form, während Er’ril niederkniete und unter den Tisch schaute. Die Klinge war mit der Spitze durch die Platte gedrungen. Sie bestand aus dem gleichen Material wie der Griff. Er’ril richtete sich wieder auf. »Der Dolch wurde aus einem einzigen schwarzen Stein geschnitten«, murmelte er.
Elena wollte nach der Waffe greifen, aber Er’ril hielt sie zurück. »Wir lassen besser alles, wie es ist, solange wir nicht mehr darüber wissen.«
»Ist das Schwarzstein?« fragte Merik und trat näher.
Elena schüttelte den Kopf. »Nein. Der Dolch ist durchsichtig, fast wie schwarzer Kristall.«
Er’ril trat neben sie, um sich den Griff selbst anzusehen. Am oberen Ende hockte ein flügelloser Drache oder eine Echse. Der lange Schwanz war um das Heft gewickelt und gab der Figur Halt.
Das Maul mit den Reißzähnen war wie zum Fauchen geöffnet. Er’ril ging noch näher heran. Nun konnte er auch die winzige Federkrause erkennen, die den Hals umgab. »Süße Mutter …«, stöhnte er.
Alle Blicke richteten sich auf ihn, bis der Großkielmeister vortrat und das Wort ergriff. »Ich kenne dieses Material«, brummte er.
Er’ril richtete sich auf und sah den breitschultrigen Mann an. »Was ist das für ein Kristall?«
»Die Flotten der De’rendi handeln mit Schätzen aus allen Ländern Alaseas. Das hier ist Nachtglas. Sehr kostbar. Schon für einzelne Scherben kann man Unsummen verlangen. Für ein Kunstwerk dieser Größe und Qualität bekäme man wahrscheinlich ein kleines Schiff.«
»Aber woher stammt dieses Nachtglas?«
Der Hüne kratzte sich den Kopf. »Wenn ich mich recht erinnere, aus der Wüste der Südlichen Ödlande. Man gewinnt es aus dem
Weitere Kostenlose Bücher