Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Albach und Mueller 01 - Russische Seelen

Albach und Mueller 01 - Russische Seelen

Titel: Albach und Mueller 01 - Russische Seelen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bronnenmeyer
Vom Netzwerk:
erwischt haben, oder?«
    Nikolai nickte langsam und sie passierten das Eingangsportal.
    Der Friedhof war angenehm schattig, die Hitze des Tages hatte sich noch nicht bis in seine hintersten Winkel ausgebreitet. Von den Kastanien und Erlen fiel bereits farbiges Laub. Amseln zwitscherten, Tauben gurrten und die ganze Zeit roch es nach Pfeifentabak und Rasierwasser. Kreativ waren sie, das musste man ihnen lassen. Nicht mal die Verhörspezialisten des KGB waren jemals mit ihren Gefangenen auf einen Friedhof gegangen – höchstwahrscheinlich deswegen, weil es keinen Sinn gehabt hätte. Nikolai betrachtete die trostlosen Grabsteine des katholischen und protestantischen Christentums und wunderte sich, dass die Menschen hier anscheinend auch nicht nennenswert älter wurden als in seiner Heimat. Nach zehn Minuten Fußweg kamen sie zu einem ziemlich verwilderten Feld, auf dem etliche schlichte Holzkreuze standen. Die Kreuze waren in verschiedenen Stadien der Verwitterung, je nach Alter und Herstellungsart. Auf jedem Kreuz befanden sich ein Name und zwei Datumsangaben. An einigen Stellen klafften größere Lücken zwischen den Gräbern.
    »So, Herr Kashevski«, sagte der Polizist mit dem herben Rasierwasser, »dass wir uns auf einem Friedhof befinden, dürften Sie schon bemerkt haben. Hierbei«, er deutete auf das Feld, »handelt es sich um Grabstätten der Ärmsten beziehungsweise Einsamsten, meist ohne Angehörige, die ihnen einen Grabstein spendieren.«
    »Erde drauf, Kreuz rein, fertig«, brummte der Alte.
    »Genau«, nickte der andere und sie gingen etwas weiter in das Feld hinein. »Hier ruhen auch diejenigen, die keine Namen haben. Pro Jahr kommt es zwei, drei Mal vor, dass Tote im Leichenhaus liegen und nicht identifiziert werden können. Meistens sind es Landstreicher oder andere Obdachlose. Kein Personalausweis, keine Vermisstenanzeige, Fingerabdrücke nicht registriert, Zahnersatz Fehlanzeige … und schon bleibt der Stadtverwaltung nichts anderes übrig als eine anonyme Beisetzung. In Deutschland muss nämlich jeder Tote beerdigt werden. Es kann also niemand einfach ins Meer geworfen oder verbrannt werden.«
    »Zwei Friedhofsarbeiter, ein Pfarrer, fertig«, kommentierte der Alte, »aber ein Kreuz gibt’s nicht. Wird einfach zugeschüttet und dann wächst Gras drüber.«
    »Wissen Sie eigentlich, dass das Rote Kreuz heute noch Gräber aus dem Zweiten Weltkrieg öffnet und versucht, die Unbekannten zu identifizieren?«, redete der Jüngere weiter. »Nach sechzig Jahren, das muss man sich mal vorstellen! Nur damit die Toten einen Namen bekommen und ihre Angehörigen, oder besser gesagt Nachfahren, sie ordnungsgemäß bestatten können. Dieser Aufwand – Wahnsinn!«
    »Der Umgang mit den Toten hat in allen Kulturen der Welt schon immer eine entscheidende Rolle gespielt«, der Alte klopfte seine Pfeife über einem nahen Abfalleimer aus.
    »Herr Kashevski«, der andere hielt ihm ein Foto von Jewgenji unter die Nase, »dieser Mann wurde 1985 im Wald nahe dem Tiergarten unter mysteriösen Umständen erschossen …«
    »Hingerichtet«, warf der Alte ein.
    »Und nun raten Sie mal, wer diesen Fall damals bearbeitet hat?«
    Nikolai sagte nichts.
    »Genau«, fuhr der Polizist mit erhobenem Finger fort, »Herr Herbst und Herr Albach. Nach einigen Wochen mussten wir die Ermittlungen ohne Ergebnis einstellen. Es war wie verhext, es gab keinerlei Anhaltspunkte oder Hinweise. Er war nackt, als er gefunden wurde. Das Einzige, was man mit einiger Sicherheit sagen konnte, war, dass er ein Osteuropäer sein musste!«
    »Wir haben sein Foto natürlich den Kollegen in der Sowjetunion übermittelt«, sagte der Alte, »aber … es gab da so einen Vorhang, unsichtbar und eisern«, er zog eine kleine Plastiktüte aus der Tasche seiner Strickweste. In ihr befand sich ein offenbar altes Brötchen, das er nun zerbröselte, um damit drei Spatzen zu füttern, die erwartungsvoll um ihn herumhüpften.
    »Wir haben niemals wieder etwas gehört«, sagte der andere nach einer kurzen Pause, »und wissen Sie, was das Merkwürdigste ist?«
    Nikolai antwortete nicht.
    »Dass wir selbst heute noch nichts über ihn erfahren! Sowohl von Ihnen als auch von dem aktuellen Mordopfer haben wir immerhin die Namen und einige grundlegende Daten, dieser Mann jedoch«, er hielt wieder das Foto hoch, »bleibt namenlos!«
    »Wir können zwei und zwei zusammenzählen«, der Alte gesellte sich, von gut zwei Dutzend Spatzen und Tauben verfolgt, wieder zu ihnen, »wenn es

Weitere Kostenlose Bücher