Albert Schweitzer
Vollendung und Erfüllung gesprochen werden. Ihm war nach einem langen, überaus arbeitsreichen Leben ein gelöster Ausklang, ein friedliches Sterben in geistiger Klarheit und im Kreise der ihm Nahestehenden vergönnt.
Diese letzte Phase beginnt mit dem Tod seiner Ehefrau Helene am 1. Juni 1957. Der Abschied von der geliebten Lebensgefährtin, die er seit 1898 kannte, mit der er 1902 eine lebenslange Freundschaft besiegelte und die seit der Heirat im Juni 1912 sein Lebenswerk teilte und förderte, war eine tiefe Zäsur in seinem Leben.
Als die beiden im Mai 1957 in Afrika voneinander Abschied nahmen, wussten sie, dass es ein Abschied ohne Wiedersehen in dieser Welt sein würde. Helene war so schwer krank, dass ein längerer Aufenthalt in Lambarene nicht möglich war. Wie schmerzhaft es für Albert gewesensein musste, ihr bei ihrem Sterben im fernen Züricher Krankenhaus nicht tröstend und helfend zur Seite stehen zu können, lässt sich nur erahnen. Er reiste nach Europa, regelte Helenes Nachlass-Angelegenheiten, veranlasste eine Autopsie, um Gewissheit über die Todesursache zu bekommen. Dabei stellte sich heraus, dass die Lebensgefährtin, die seit ihren jungen Jahren unter schweren Erkrankungen zu leiden hatte, mehrere kleinere Herzinfarkte erlitten hatte, die ihre Lebenskräfte zusätzlich gemindert hatten. Wie stark und tapfer war diese Frau in ihrem Leiden!
Im Dezember 1957 reiste Schweitzer wiederum nach Afrika; es war sein dreizehnter und vorletzter Aufenthalt in Lambarene. Helenes Asche wurde im Januar 1958 auf dem spitaleigenen Friedhof bestattet.
Im April 1957 hatte Schweitzer über Radio Oslo einen eindringlichen „Appell an die Menschheit“ verbreitet. Ein Jahr später (April 1958) hielt er in kurzen zeitlichen Abständen drei Vorträge über die Gefährlichkeit der Atomversuche – ebenfalls von Radio Oslo ausgestrahlt (vgl. unten S. 196–199).
Sein letzter Europa-Besuch begann im Oktober 1959. Schweitzer erhielt in Kopenhagen den Sonningpreis, bereiste zum letzten Mal Deutschland und hielt sich im November für drei Wochen in Paris auf, unterbrochen von kurzen Abstechern nach Brüssel und Rotterdam.
Am 9. Dezember 1959 verließ Schweitzer Europa für immer – zum vierzehnten Mal trat er die Reise nachAfrika an, nicht ahnend, dass es eine Reise ohne Wiederkehr in die europäische Heimat sein würde.
Die Briefe aus den letzten Lebensjahren belegen eindrucksvoll, dass Schweitzer neben der plagenden Sorge um die atomare Aufrüstung intensiv mit der Zukunft seines Spitals beschäftigt war. Der alte Mann begann „sein Haus zu bestellen“. Die Regelung der Nachfolge, der notwendige weitere Ausbau des Krankenhauses nahmen zunehmend Besitz vom sorgenden Denken Schweitzers. Er wusste darum, wie sehr er nach wie vor in Lambarene gebraucht wurde, auch wenn er sich aus dem medizinischen Alltagsgeschehen inzwischen weitgehend zurückgezogen hatte. Und er wusste, dass es an der Zeit war, allmählich die Weichen für die Zukunft Lambarenes nach seinem Tod zu stellen. So hat er Lambarene nicht mehr verlassen, obwohl es an Einladungen nach Europa und auch nach Japan nicht mangelte.
Zwei bedeutende Ehrungen wurden ihm in diesen späten Jahren noch zuteil: 1960 erhielt er die Ehrendoktorwürde für Humanmedizin der Ost-Berliner Humboldt-Universität; 1962 wurde ihm die gleiche Auszeichnung für Ingenieurwissenschaften und Bauwesen (!) der Technischen Universität Braunschweig verliehen. Beide Ehrungen konnte er nicht mehr persönlich entgegennehmen.
Einer der Höhepunkte der letzten Jahre waren ohne Zweifel im April 1963 die Feierlichkeiten zu Schweitzers „Goldenem Afrikajubiläum“. Fünfzig Jahre waren vergangen,seit er mit seiner Frau erstmals afrikanischen Boden betreten hatte. Hatte er 1938 noch im Stillen gedacht, seine vielbeschäftigten Mitarbeiter und Helfer könnten das „Silberne Jubiläum“ vergessen haben (sie hatten es zu seiner Freude nicht), so wurden die fünfzig Jahre Lambarene nun gebührend gefeiert. Schweitzer hielt zum „Goldenen Jubiläum“ eine herzliche, bewegende Ansprache: „Ich erinnere mich noch an den Tag, da ich mein Medizinstudium beendet hatte und mich mit Herrn Morel unterhalten konnte. Er war Missionar in Lambarene. Er sagte zu mir: Kommen Sie doch zu uns! Und da er ein Elsässer ist und ich auch einer, so sagte ich mir: Ich gehe dorthin! Ich habe es mir nicht lange überlegt, sondern mir gesagt: Ich habe Vertrauen. Mein Vertrauen wurde nicht getäuscht ... Sagen
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