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Albertas Schatten

Albertas Schatten

Titel: Albertas Schatten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Amanda Cross
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Krawatte ist knapp oberhalb der Brust geknotet, unter dem Ausschnitt ihrer Bluse, als eine Art eingestandener Kompromiß.) Manchmal kommt es mir erstaunlich vor, wie wenig ich nach dem Leben von Cyrils Eltern fragte oder überhaupt von ihnen Notiz nahm. Einmal kam ich herein und sah seine Mutter weinen; ich stand unbeholfen in der Tür, und sie versuchte, lachend über die Situation hinwegzugehen, während sie die Tränen abwischte. »Ich bin nur eine dumme Frau«, sagte sie. »Das hat gar keine Bedeutung. Sag’ bitte Cyril nichts davon.«
    Ich schüttelte den Kopf. Das große Mitleid und die Verachtung, die ich empfand, sind für mich noch heute spürbar (kein Entsetzen, wohlgemerkt, denn niemals wäre mir in den Sinn gekommen, daß es mir einmal so gehen könnte, und das ist ja auch nicht geschehen).
    Jenen ersten Sommer – anders als die späteren, die alle in meiner Erinnerung zusammengeschmolzen sind – habe ich noch immer in einer Klarheit in meinem Bewußtsein, als säße ich in einem dieser Filme, wie sie in meiner Jugend modern waren und in denen Erinnerungen wie durch eine Zeitmaschine vor dem Auge des Betrachters sichtbar werden.
    »Ich hatte ein kleines Mädchen für ein paar Stunden«, sagte Cyrils Mutter. »Ich hätte gern eine Tochter gehabt. Aber wir sind glücklich, Cyril zu haben, und dürfen Gott nicht um mehr bitten.« Ich glaube, ich spürte, daß sie mich gern in die Arme genommen hätte, wenn ich nur zu ihr hingelaufen wäre, und daß wir einander mit einer Leidenschaftlichkeit umarmt hätten, die uns beiden später peinlich gewesen wäre. Aber ich rührte mich nicht von der Stelle; ich blieb einfach stehen, schweigend und machtlos. Gewiß, sie fühlte sich einsam; ich konnte das verstehen. Ihr Mann aß jeden Abend im Institut; wenn er sie zu einer der seltenen Gelegenheiten, bei denen Ehefrauen zugelassen waren, mitnahm, fühlte sie sich fehl am Platz, fühlte, daß er ihr auf eine unausgesprochene Weise entwachsen war.
    Wußte ich all das? Ja. Aber ich warf ihr vor, daß sie eben so dumm war, und vergab ihm, daß er sie langweilig fand. Man hätte denken können, daß ich, mutterlos wie ich war, eine Kandidatin für diesen Posten begrüßt hätte; in Wirklichkeit hatte ich genug von Müttern –
    zumindest von Ersatzmüttern. Glaubte ich, daß ich eines Tages als Junge aufwachen würde und meinen Platz in einer Welt der Männer einnehmen könnte, in der man Frauen mit der Geringschätzung behandelte, die sie verdienten, und natürlich auch mit väterlicher Freundlichkeit? Zeigte meine Tante nicht, daß dieser Standpunkt möglich war, sogar ohne das Geschlecht zu ändern?
    Schließlich ging Cyrils Mutter an jenem Nachmittag in die Küche zurück, wo sie stets mit Nahrungsmitteln oder feuchter Wäsche her-umzuwerkeln schien, und ich wanderte in Richtung der Oxford-Colleges, die ich als Gegenstand meines besonderen Interesses ausgewählt hatte. Ich hatte sehr bald eine Kompetenz auf diesem Gebiet erlangt. Cyril wollte sich nicht jeden Nachmittag mit mir abgeben.
    An dem Tag ging ich zum Wadham-College, an der großen Rotbu-che, die, glaube ich, immer noch dort steht: Ich setzte mich in meiner Schuluniform darunter und gab mich meinen Fantasievorstellungen hin, wie so oft. Ein amerikanisches Ehepaar trat zu mir.

    »Kleine, weißt du, welches College das ist?« fragten sie.
    Ich sprang auf und sagte mit meinem besten englischen Akzent:
    »Ja, Sir. Das ist das Wadham-College.«
    »Weißt du auch, wie die anderen heißen?« fragte er.
    »Arthur«, sagte seine Frau.
    »Du wolltest die Universität sehen,« sagte er zu ihr.
    »Wir können ja auch etwas dabei lernen«, er drehte sich zu mir um. »Würdest du uns wohl Oxford zeigen? Natürlich nur, wenn du nichts Besseres zu tun hast.«
    Und so, als wäre eine meiner Fantasien Wirklichkeit geworden, als wäre ganz sachte ein Wunder geschehen, führte ich sie zu den Colleges und erzählte ihnen alles Wichtige. Merton, Balliol, Trinity und All Souls – ich beschrieb sie von außen, da man nicht hinein darf. Ich wußte nur, daß es keine Studenten dort gab und keine Besucher und daß wichtige Männer sich dort zu tiefgehenden, weltbewe-genden Diskussionen trafen. Wir waren auf dem Weg zur Christ Church, als die Frau meinte, ihr täten die Füße weh, und der Mann sagte: »Ich denke, wir sollten es dabei bewenden lassen. Wir haben eine Menge gelernt, wir danken dir.« Er gab mir zwei Halbkronen-stücke, damals ein Vermögen für ein Kind von acht

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