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Albertas Schatten

Albertas Schatten

Titel: Albertas Schatten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Amanda Cross
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als dieser schreckliche Stan Wyman hinterließ Martin Heffenreffer keinen überwältigenden Eindruck – in keiner Beziehung. Lillian hatte erfahren, daß seine Ehe in der Krise war; das wußte offensichtlich jeder. Aber er warf sich nicht jeder verfügbaren Frau an den Hals; im Gegenteil, er schien ein eher ruhiger Typ zu sein mit Freude am Gespräch, und ein Mann, der zuhören konnte –
    laut Lillian eine seltene Spezies. Lillian schien es, als ginge von ihm eine unendliche Traurigkeit aus, aber Kate neigte dazu, dies ihrer jugendlichen Phantasie zuzuschreiben: Männer in mittleren Jahren wirkten auf junge Frauen oft unendlich traurig, vielleicht, weil sie es wirklich waren. Frauen in mittleren Jahren dagegen mit ihren eigenen Gründen für Traurigkeit neigten eher dazu, die noch vorhandenen Möglichkeiten der Männer in mittleren Jahren zu sehen, statt deren Versagen. Lillian stimmte zu, als ihr das entgegengehalten wurde. Insgesamt blieb daher unklar, was all dies für eine Bedeutung für ihre Nachforschungen hatte; wahrscheinlich gar keine. Aber Kate wollte Lillians Gefühle nicht verletzen, also erwähnte sie es nicht weiter. Zweifellos hing Watsons Ruf, etwas begriffsstutzig zu sein, damit zusammen, daß er immer am Rande der Ereignisse herumstol-perte. Wer hatte nochmal gesagt, Watson sei eine Frau gewesen?
    Wie dem auch sei, als Kate im Englischen Institut von Mary Louise Heffenreffers College anrief, war sie nicht besonders überrascht zu hören, daß Mary Louise für ein Jahr Urlaub genommen habe. Sie hatte eine Viertelstelle als Gastprofessorin an der University of California in Santa Cruz angenommen. »Kalifornien!« Kate schrie es der armen Sekretärin am anderen Ende der Leitung fast ins Ohr. Aber es stellte sich heraus, daß das Mädchen Sinn für Humor hatte; man fand das oft in den Büros der Institute. »Ich weiß«, sagte sie, »wir alle sind noch immer sehr erstaunt. Professor Heffenreffer schien nicht der Kalifornien-Typ zu sein. Aber früher oder später probiert es jeder einmal aus. Natürlich hoffen wir, daß sie es dort scheußlich findet.«
    Das Mädchen gab Kate die Adresse, und Kate bedankte sich für ihre Freundlichkeit. »Na ja, Professor Heffenreffer ist sehr nett, und wir alle hoffen, daß es ihr langweilig wird, da unten dauernd am Strand zu liegen, und daß sie bald zurückkommt. Einen schönen Tag wünsche ich Ihnen.«
    Kate beschloß, sich diesen Rat zu Herzen zu nehmen, und rief Mary Louise in Kalifornien an. Es waren noch zwei Wochen bis zu Kates Semesterferien. Warum sollte sie nicht einen Teil davon in Santa Cruz verbringen? Sie hatte doch schon immer den Carmel sehen wollen? Oder war es Big Sur? Tatsächlich, jeden Tag hörte sich Kate mehr an, wie jemand aus dem Osten; das mußte dringend geändert werden. Die Frage war nur: Sollte sie in Santa Cruz auftauchen und Mary Louise überraschen, à la Lillian, oder sollte sie zuerst anrufen und eine Verabredung treffen? Sie brauchte nur einen Augenblick zu überlegen, um zu einem Entschluß zu kommen. Mary Louise könnte irgendwo sein; vielleicht war sie in ihren Ferien nach Alaska gefahren. Kate würde anrufen.
    Bei einem Anruf im Englischen Institut der University of California in Santa Cruz stellte sich heraus, daß ein solches Institut nicht existierte. Professor Heffenreffer war Gastdozentin im Rahmen des Themenkreises »Geschichte der Bewußtseinsformen«. Nun ja, dachte Kate, warum nicht. War nicht das ihre These zu Pulci, daß wir seine Bewußtseinsform nicht verstanden? War nicht genau das das zentrale Thema der französischen Philosophie?
    Als man sie verbunden hatte, stellte sich heraus, daß die Teilnehmer des Themenkreises »Geschichte der Bewußtseinsformen« zu Tisch gegangen waren. Ein freundlicher Anrufbeantworter bat Kate, um ein Uhr zurückzurufen. Um vier Uhr – New Yorker Zeit – tat sie es und fragte sich, was wohl geschehen würde, wenn in New York ganze Büros über Mittag geschlossen hätten. Vielleicht gab es ja doch etwas Gutes über Kalifornien zu sagen. Die Sekretärin des Themenkreises »Geschichte der Bewustseinsformen« war die Liebenswürdigkeit selbst und gab ihr Mary Louises Privatnummer. Kate fragte sich, ob Mary Louise wohl zum Lunch zu Hause war, und rief an. Wieder ein Anrufbeantworter; diesmal wurde sie aufgefordert, eine Nachricht für Mary Louise oder Teddy oder Fanny zu hinterlassen. Kate legte vor dem Pfeif ton auf; schließlich konnte sie Mary Louise nicht bitten, eine völlig Fremde

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