Albertas Schatten
Antwort allein bleiben. Mein Innerstes sagt mir das eine, meine Hoffnung und meine allgemeine Lebenserfahrung sagen mir das andere. Ein Mensch verschwindet nicht einfach von der Bildfläche, was immer einem auch im Fernsehen gezeigt wird.«
»Sie reden an meiner Frage vorbei.«
»In meinem Innersten glaube ich, daß sie tot ist«, sagte Kate.
»Aber ich weiß nicht, warum. Mein Innerstes hat sich auch früher schon geirrt.« Sie fuhr los.
Etwas später im selben Monat sagte Kate zu Lillian: »Könntest du deinen Job noch einmal aufnehmen – gegen gute Bezahlung?«
»Mit dem größten Vergnügen«, sagte Lillian. »Meinen Computer lasse ich mit Freuden stehen, wenn ich dafür in meinen Watson-Anzug schlüpfen kann.«
»Du mußt aber ganz besonders vorsichtig sein. Frische deine Verbindung zu Martin Heffenreffer wieder auf.«
»Dem Freund des Freundes eines Freundes?«
»Genau den meine ich. Aber er darf auf keinen Fall etwas merken, selbst wenn du eine Weile brauchst, um eine Verbindung zu knüpfen. Ich möchte, daß du etwas über Heffenreffers derzeitiges Liebesleben herausfindest: Ob er mit jemandem zusammenlebt, wie sie ist, wie alt sie ist und ob die Sache ernst ist. Aber du darfst nicht einfach herumfragen. Du müßtest es über allgemeine Klatschge-schichten herausfinden. Glaubst du, du kannst das machen?«
»Und die Firma trägt die Kosten für dieses Herumtrödeln, für diesen Jungmädchentratsch nebst vertraulichem Austausch von Her-zensgeheimnissen?«
»Selbstverständlich. Derselbe Spesensatz, ungeachtet der Dauer des Einsatzes.«
»Kate, wenn du mir einen Monatswechsel zukommen lassen willst, warum sagst du es dann nicht? Zuerst bezahlst du mich dafür, daß ich etwas lese, dann dafür, daß ich irgendwelche Tratschge-schichten erkunde. Mir wird schwindlig bei dem Gedanken an das, wofür du mich als nächstes bezahlen wirst.«
»Das hier ist die wichtigste Sache, um die ich dich jemals gebeten habe. Verpatz’ sie nicht, Lillian. Nutze den Instinkt optimal, der dich die Studenten vor meinem Büro hatte fragen lassen, was sie von meinem Unterricht hielten.«
»Das nagt noch immer an dir, nicht wahr?«
»Ich nutze alle Talente, die der Herr mir gegeben hat, und wir wissen alle, wie hochkarätig die sind«, sagte Kate. »Nein, Lillian, ich meine es wirklich ernst.«
»Du meinst immer alles ernst«, sagte Lillian. »Dein phantastisches Talent zur Persiflage hat mich keine Sekunde lang getäuscht.«
»Sei jedenfalls vorsichtig und nimm dir Zeit.«
»Unter diesen Voraussetzungen könnte es ewig dauern«, sagte Lillian. »Martin Heffenreffer könnte sexuelle Kontakte zu mehr als fünfzehn Teeny-Mäuschen gehabt haben.«
»Das sind genau die Informationen, die ich haben möchte«, sagte Kate und winkte Lillian nach, als diese ging.
Das Semester schleppte sich dahin. Nicht, daß Kate es langweilig gefunden hätte. Aber sie hatte das Gefühl, einfach Zeit verstreichen zu lassen, und zwar nicht, weil in dieser Zeit etwas geschehen würde, sondern weil es gleichgültig war, daß die Zeit verging; ihrem Beruf mußte sie ohnehin nachgehen.
Gegen Semesterende schrieb sie einen Brief an Stan Wyman und fragte ihn, ob sie sich wohl im Fakultätsclub treffen könnten zu einem Gespräch über seine Chancen, an einen Bibliotheksausweis zu kommen; der Fakultätsclub wäre für sie am bequemsten. Sie könne zwar keinen Dauerausweis zusagen, aber wahrscheinlich könne sie ihm einen Ausweis für promovierte Gasthörer besorgen, wenn sie für ihn bürge.
Dann verabredete sie sich mit Charlie. Wieder schaute Kate auf ihrem Heimweg bei ihr vorbei. Charlie kam aus ihrem Arbeitszimmer und sah aus wie jemand, der gerade eine Begegnung mit des Teufels Großmutter höchstpersönlich hatte. Sie fuhr sich ununterbrochen mit den Fingern durch die Haare und brachte so eine Frisur zustande, die jeden Punkstylisten vor Neid hätte erblassen lassen.
»Macht es Ihnen etwas aus, wenn ich Ihnen ein paar Fragen stelle, die ich schon einmal gestellt habe?« fragte Kate. »Ich weiß, wir haben das alles schon früher einmal durchgesprochen, aber ich habe meinen Kopf völlig ausgeleert und muß nun anfangen, ihn wieder zu füllen.«
»Kate, haben Sie über irgend etwas nachgedacht?«
»Ich habe darüber nachgedacht, daß es besser gewesen wäre, meine Mutter hätte mich nie geboren. Wie dem auch sei, ich stelle erst einmal meine Fragen. Haben Sie Albertas Geburtsurkunde ausfindig gemacht?«
»Das habe ich Ihnen doch
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