Alchemie der Unsterblichkeit
den Schmerz des Aufpralls, der nun wie Feuer in ihm brannte.
»Ich sollte Jorm dankbar sein«, zischte der Vampir. Aus der Nähe war seine Ähnlichkeit mit Chaela unverkennbar. Die gleichen zarten Züge, derselbe arrogante Gesichtsausdruck. »Endlich können wir uns von den Menschen befreien, und alle werden ihm die Schuld geben.« Er grinste boshaft. »Mit dir habe ich aber etwas Besonderes vor.«
Sein Gesicht näherte sich. Die langen Fangzähne glitzerten im Sonnenlicht. Icherios versuchte, sich zu wehren, doch der Vampir war zu stark. Mit einer Hand hielt er ihn auf den Boden, mit der anderen packte er Icherios’ Haare und bog seinen Kopf nach hinten, sodass seine Kehle entblößt war. Dann spürte er, wie die Zähne in seinen Hals drangen und sich eine Lähmung in Körper und Geist ausbreitete. Es war ähnlich wie die Wirkung von Laudanum und doch fremdartig. Icherios fühlte, wie sein Leib erschlaffte. Er wusste, dass er kämpfen sollte, aber sein Verstand war wie betäubt. Plötzlich wurde das Gewicht von ihm gerissen. Icherios wandte den Kopf und sah, wie sich Rabensang in Wolfsgestalt mit dem Vampir auf dem Boden wälzte. Der Vampir rappelte sich auf und schleuderte den Werwolf zur Seite. Ein Aufjaulen erklang, als Rabensang gegen einen Pfosten donnerte. Icherios hörte Knochen brechen, doch Rabensang ließ sich dadurch nicht aufhalten. Mit wenigen Sätzen sprang er zu Icherios, stellte sich mit gesträubtem Fell über ihn und fletschte die Zähne. Aus der Nähe wirkte der Schädel des Werwolfes viel zu groß für den schlanken Körper. Der junge Gelehrte beobachtete fasziniert, wie sich die gebrochenen Rippen unter dem Fell neu anordneten und heilten.
Der Vampir maß ihn mit einem verächtlichen Blick. Dann spuckte er Blut. »Du kannst ihn haben.« Er hechtete von der Plattform und verschwand in der Menge.
Der Kampf war zu Ende. Mehrere Menschen lagen auf dem Boden, während der Rest auseinandergetrieben wurde. Icherios war nicht imstande aufzustehen. Das Vampirgift pochte in seinen Venen. Der Werwolf verwandelte sich zurück. Ohne jegliche Scham über seine Nacktheit, zog er Icherios zur Seite und begann, Befehle zu bellen. Icherios’ Verstand war zu benebelt, um zu begreifen, was geschah. Die Menschen wurden von den Vampiren und Werwölfen unsanft in ihre Häuser getrieben und dort eingeschlossen. Nach und nach verwandelten sich alle Werwölfe zurück. Sohon stellte sich in die Mitte des Marktplatzes und brüllte in einer Lautstärke, die seine Stimme bis ans andere Ende des Dorfes tragen musste. »Jeder weitere Unruhestifter, egal ob Mensch, Vampir oder Werwolf, wird von mir eigenhändig hingerichtet. Die Menschen bleiben in ihren Häusern.«
Kolchin und der Pfarrer standen dicht an die Wand eines Hauses gedrückt. Ihre Gesichter spiegelten Entsetzten wieder, doch sie schienen unverletzt. Sohon befahl einigen widerwilligen Werwölfen, sich um die verletzten Menschen zu kümmern. Es waren zahlreiche, aber es gab nur wenige Tote. Erleichterung machte sich in dem jungen Gelehrten breit, bevor ihn die Dunkelheit übermannte.
Icherios kam im Amtszimmer des Bürgermeisters zu Bewusstsein. Man hatte ihn in den Sessel am Kamin gelegt, den Rabensang bei seiner Ankunft in Anspruch genommen hatte. Stimmen drangen an sein Ohr. Er war dankbar, dass er mit dem Rücken zu den anderen saß, sodass er Zeit hatte, sich zu sammeln und zu lauschen. Eine rege Diskussion war im Gange. Die Spannung, die im Raum lag, war greifbar.
»Wir sollten die Menschen in Häuser sperren und bewachen«, hörte er Rabensang gerade sagen. »Geschehen keine weiteren Morde, wissen wir, dass es einer von ihnen ist.«
»Das lässt sich niemals durchführen«, widersprach Sohon. »Wie wollt Ihr sie bewachen? Und für wie lange?«
Die hohe Stimme des Pfarrers erklang. »Wie können Sie es auch nur in Erwägung ziehen? Es sind Menschen und keine Tiere!«
»Es geht um ihren Schutz«, wandte der Vampir ein.
Rabensang brummte etwas Unverständliches. Vom Bürgermeister war nur ein Japsen zu hören. Icherios stellte sich vor, wie er mit rot angelaufenem Gesicht und hastig umherirrenden Schweinsäuglein am Schreibtisch saß. Die Situation musste ihn überfordern.
»Vielleicht sollten wir die Vampire und Werwölfe einsperren«, schlug Bernsten vor. Seine Stimme triefte vor Gehässigkeit. »Es sind nicht so viele. Außerdem sind sie dann auch in Sicherheit.«
»Das ist noch weniger machbar.« Kolchins Stimme zitterte.
Dann donnerte
Weitere Kostenlose Bücher