Aldebaran
Nikolaos, auf der Insel Psará. Und er wusste, dass er dort zur ewigen Ruhe gehen wollte. Neben seinem Vater. Das hatte er Melina an dem Abend gesagt. Nach der Beerdigung. Bevor sie miteinander geschlafen hatten.
Sie waren zwischen Feigenbäumen, dornigen Büschen und den Ruinen flügelloser Mühlen hinaufgeklettert. Bis auf den höchsten Punkt der Steilküste. Vor ihnen, zu ihren Füßen, erstreckten sich das Meer und der Hafen. Sie waren schweißgebadet. Schweigend verschnauften sie und ließen ihren Blick auf den im Sand auslaufenden Wellen ruhen.
»Verstehst du«, hatte Melina gesagt, »hier gebe ich nichts von mir selber auf. Ich bin ohne Maske.«
»Hier will ich sterben, Melina. Ich habe gelernt, in dieser Trockenheit zu leben. Und hier will ich auch bleiben.«
Melina hatte sich langsam zu ihm hin gedreht. Mit ernstem Gesicht. Sie hatte ihn geküsst. Flüchtig zunächst, doch ihm war ein süßer Schauer über den Rücken gelaufen. Dann leidenschaftlich. Ihre Lippen schmeckten nach Salz. Wie ihr Körper.
Bei Sonnenuntergang waren sie wieder hinabgestiegen. Zu dieser einzigen Tageszeit, während der im Hafen wirklich Leben aufkam. Zur Stunde des Aperitifs. Der Stunde für den Spaziergang mit der Braut am Arm. Er hatte sich bei Melina eingehakt, und sie waren wieder am Kai hinaufgegangen unter den Blicken der Fischer und Ziegenkäsehändler, die in den Cafés an den Tischen saßen. Sie hatten verkündet, dass sie heiraten würden, und seine noch tief trauernde Mutter hatte vor Glück geweint.
Diamantis hörte Stimmen. Er drehte sich um und sah, wie Mariette das junge, fein herausgeputzte Paar nach der Besichtigung der Villa ans Tor zurückbegleitete. Türen schlugen, und plötzlich stand sie vor ihm. Mariette.
»Geschäft besiegelt!«, rief sie fröhlich. »Eine gute Wahl. Es ist schön, nicht?«
»Großartig.« Er konnte seine Augen nicht von Mariette losreißen. Sie strahlte vor Freude. »Hast du nie Lust, die Häuser selbst zu kaufen, die du vermittelst? Solche wie dieses hier, meine ich.«
»Hm«, sagte sie und stützte sich neben Diamantis auf das Geländer. »Ja … Ja, natürlich. Aber … Zunächst mal kann ich mir das eigentlich nicht leisten. Außerdem ist so ein Haus nichts wert, wenn du keinen Mann hast, den du da reinsetzen kannst.« Sie lachte, wie über einen guten Scherz. Wie ein Teenager.
»Und du hast keinen Mann, ist es das?«, bemerkte er lächelnd.
»Ich hab eine neunjährige Tochter. Laure. Aber keinen Vater für sie. Und du?«
»Ich habe einen Jungen. Aber keine Mama mehr.«
Sie lachte erneut. Das Lachen dieser Frau war für das Glück gemacht.
»Dann geht es uns also gleich?«
»Gleich?« Er überlegte einen Moment.
»Nein. Mikis ist über das Alter hinaus, wo er eine Mama braucht. Und ich habe es aufgegeben, eine Frau zu finden. Sie auch nur zu suchen.«
Sie sahen sich an. Das Begehren, das aus Mariettes Augen sprach, erschütterte Diamantis. Kleine Goldpailletten funkelten darin. Sie nahm ihn bei der Hand und zog ihn fast im Laufschritt von der Terrasse.
»Gehen wir schwimmen?«
»Schwimmen?«
»Hast du den Swimmingpool nicht gesehen?«
»Einen Pool gibts also auch!«
»Der große Luxus. Das sollten wir ausnutzen, nicht? Jedenfalls einmal im Leben.«
Sie stiegen ein paar Stufen hinab und gingen ums Haus. Vor dem Pool ließ sie seine Hand los. Sie streifte die Träger ihres weiten, weißen Leinenkleides ab. Darunter trug sie einen Badeanzug, ebenfalls weiß. Er hatte keine Zeit, ihren Körper eingehend zu betrachten. Sie stürzte sich mit einem Kopfsprung in den Pool. Er sah ihr in dem klaren, blauen Wasser nach. Mariettes Kopf tauchte am anderen Ende auf. »Was ist, los komm!«, rief sie prustend.
»Ich hab keine Badehose. Das hättest du auch vorher sagen können.«
»Ich mach die Augen zu. Na, komm schon. Es ist supertoll!«
Er behielt die Unterhose an. Diamantis war ein schamhafter Mann.
Sie ließen sich im Halbschatten trocknen. In gebührendem Abstand voneinander. Schweigend. Verloren in ihren Gedanken und Sehnsüchten. Er hatte es geliebt, mit Amina schwimmen zu gehen. Immer draußen im Meer. Auf den Frioul-Inseln. In den unzähligen kleinen Buchten waren sie ungestört.
Sie schwammen lange und weit hinaus. Auf dem Rückweg klammerte Amina sich auf seinem Rücken fest, bis sie sich außer Atem auf einem Felsen balancierend küssten, Aminas Glieder um seinen Körper gewunden und geschlungen, schließlich taumelten, fielen und ins tiefe Wasser glitten,
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