Alejandro Canches 01 - Die siebte Geissel
ganzen Grabungen durchgeführt, teilweise unter sehr interessanten Umständen, möchte ich hinzufügen, und bisher ist alles, was wir dafür aufzuweisen haben, Dreck unter den Fingernägeln und ein Stückchen Stoff. Mit dem Dreck werden wir den ganzen Montag zubringen. Wie wär’s, wenn wir uns zur Abwechslung heute mal ein bißchen mit dem Stoff amüsieren würden?«
Janie war überrascht über den frustrierten Unterton in Carolines Kommentar. Manchmal vergaß sie, daß Caroline hier war, weil sie so eine Gelegenheit zu lernen hatte, die ihr sonst nicht geboten worden wäre, eine Gelegenheit zu reisen, die sie vielleicht nie wieder bekommen würde. Sie war auf
Janies Kosten vorausgeflogen, um alles vorzubereiten, und hatte ihren Teil des Handels mit Fleiß erfüllt. Aber irgendwie nahm sie inzwischen genausoviel Anteil an dem Projekt wie Janie, obwohl Janie sicher war, daß sie das nach den Schwierigkeiten der letzten Tage mehr als einmal bereut hatte. Janie stellte fest, daß Carolines Interesse auch sie plötzlich wieder inspirierte, und so gab sie wider besseres Wissen nach.
»Ich denke, ein bißchen Spaß haben wir uns verdient«, sagte sie, »aber laßt uns vorsichtig sein. Eigentlich haben wir nicht die richtige Ausrüstung, und hier haben wir es mit Geschichte zu tun.«
Der Techniker führte sie zu einem Computer in der Nähe der Labormitte und stellte drei Stühle so auf, daß sie alle den Bildschirm gut sehen konnten. Er schaltete das System ein und befestigte den Stoff mit Hilfe eines schwachen Vakuums. Der Stoffkreis war ein bißchen größer als die Platte des Mikroskops, also mußte er ein wenig verschoben werden; Janie sah zu und zuckte jedesmal zusammen, wenn der Techniker das tat; sie fragte sich, welche mikroskopischen Schätze dabei jeweils verlorengingen. Endlich war der Stoff richtig plaziert, und sie stellten die erste Vergrößerung ein.
»Die Fasern sind wirklich in gutem Zustand«, sagte Janie. »Deswegen denke ich fast, es könnte Wolle sein.« Doch als sie die Fasern immer weiter vergrößerten, sah sie die vielsagenden langen Streifen, die auf die Wahrscheinlichkeit eines pflanzlichen Ursprungs hindeuteten, und änderte ihre Meinung. »Leinen vielleicht«, sagte sie, »obwohl ich nicht glaube, daß das so gut erhalten wäre. Sieht aus, falls es jemals Farbstoff enthielt, als ob der mit der Zeit verblichen wäre. Aber es gibt wenig Fluktuation in der Gesamtfarbe, deshalb vermute ich, daß es ursprünglich weiß war.«
Das seltsame Artefakt schien nach ihr zu rufen, sie näher heranzuwinken. Sie gehorchte und beugte sich dichter an den Bildschirm, um besser zu sehen. Je genauer sie hinschaute, desto neugieriger wurde sie, fast wider Willen. »Können Sie es noch ein bißchen stärker vergrößern?« sagte sie.
Der Techniker antwortete darauf, indem er mit der Computermaus ein Menü aufrief. Er klickte den Vergrößerungsbefehl an und wählte einen Prozentsatz. Fast sofort erschien ein neues Bild auf dem Schirm, und die Fasern waren nun doppelt so groß wie vorher.
Sie prüften den Ausschnitt, und Janie bat um eine noch stärkere Vergrößerung. Der Techniker tat ihr den Gefallen und wiederholte den Befehl auf ihre Anweisung hin so lange, bis jede vergrößerte Faser auf dem Bildschirm wie ein Baumstamm aussah. Sie bewegten den Ausschnitt auf und ab und hin und her, verschoben das Bild und hielten gelegentlich inne, um besonders interessante Punkte zu betrachten. Alles in allem, dachte Janie, ist da nicht so viel zu sehen, wie zu erhoffen war. Doch gerade als sie anfing, das Interesse zu verlieren, erschien auf dem Bildschirm verblüffend klar eine einzelne Zelle.
»Halten Sie da an«, sagte sie rasch und zeigte auf das Bild.
Sowohl Caroline als auch der Techniker, auf dessen Namenschildchen »Frank« stand, sogen die Luft ein, als sie die Zelle auf dem Bildschirm sahen.
»Schauen wir uns das näher an«, sagte Janie, und Frank gehorchte, indem er die Vergrößerung noch einmal steigerte und die Zelle auf dem Bildschirm zentrierte. Das Bild war leicht verschwommen; Frank aktivierte die automatische Scharfeinstellung, und es wurde etwas klarer.
Doch die Schärfe stellte Frank nicht zufrieden. Mit offenkundig erregter Stimme sagte er: »Wenn Sie ein paar Minuten Zeit haben, kann ich es Ihnen noch schärfer einstellen. Es gibt ein paar Filter, die ich einsetzen kann.«
»Nur zu«, sagte Janie eifriger, als ihr selbst lieb war.
Er spielte ein bißchen mit der Maus herum und tippte
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