Alejandro Canches 03 - Der Fluch des Medicus
lieben wie zuvor.
Werde ich das wirklich?
Ihre Gedanken überschlugen sich.
Ist meine Liebe groß genug, um diese Probe zu überstehen?
Dreht sich meine Liebe zu ihm nicht allzu sehr um das, was er für mich tut - mich versorgen, beschützen, umhegen, all die Dinge, die ein Mann tut und deretwegen ich es so angenehm finde, dass es zwei Geschlechter gibt...?
Die Möglichkeit, dass ihre innere Stärke versagen könnte und dass sie ihren Mann nicht mehr lieben würde wie zuvor, als er noch gesund war, erschreckte Janie so sehr, dass sie sich sofort verbot, auch nur daran zu denken. Als Alex mit einer verschlafenen Kristina im Schlepptau wieder durch die Tür trat, war sie erleichtert, dass sie ihre Gedanken etwas weniger Beängstigendem zuwenden konnte - nämlich wie sie diesen beiden Kindern erklären sollte, dass sie ihren Vater verstümmeln musste.
Janie funktionierte das Labor zum Operationssaal um, wie sie es schon öfter getan hatte. Niemand trug Handschuhe, schlicht und einfach, weil sie keine mehr hatten, die Janie für sauber
genug hielt. Wenn sie die wenigen Handschuhe, die noch übrig waren, auskochen würde, dann würde ihnen das so schaden, dass sie nicht mehr zu gebrauchen wären, also mussten alle mit bloßen Händen arbeiten.
Sie rief wie bei den anderen Operationen Caroline hinzu, um Toms Vitalfunktionen zu beobachten. Kristina übertrug sie die Aufgabe, sich um die Instrumente zu kümmern und sie ihr auf Anweisung zu reichen. Alex, für den sie einen niedrigen Hocker besorgt hatte, stand an der Seite seiner Mutter und tat alles, was sie anordnete. Zu Janies großer Überraschung konnte er eine Vene abklemmen, während sie sie kauterisierte. Er saugte Blut mit einer großen Spritze weg und entsorgte es in einem Eimer. Von Zeit zu Zeit reichte sie ihm kleine Stücke von Haut und Muskeln seines Vaters, die er ehrfürchtig auf ein Tablett legte - um sie später begraben zu können -, ohne im Geringsten davon abgestoßen zu wirken.
Nur einmal ruhte Janie ihre Hände einen Moment lang aus, damit sie während der zwei oder mehr Stunden, die die Operation noch dauern würde, keinen Krampf bekam. Sie sah sich im Labor um; so ähnlich musste es bei einer Operation im Mittelalter ausgesehen haben, mit dem Eimer mit Blut, dem Tablett mit den Haut- und Muskelfetzen darauf und ihren Helfern, die nicht einmal Handschuhe trugen. Als sie die Operation endlich beendet hatten - ein Riesenerfolg unter diesen erbärmlichen Bedingungen -, achtete Janie darauf, dass sich alle die Hände schrubbten. Ein Königreich für irgendetwas Antibakterielles, dachte sie und wies die drei Mitglieder ihres »Operationsteams« an, kein Fältchen auszulassen, unter jedem einzelnen Fingernagel zu bürsten und die Hände wiederholt einzuseifen und abzuspülen. Als die anderen dann weggegangen waren, um sich auszuruhen, setzte sich Janie auf das Bett, das sie normalerweise mit Tom teilte, und ließ ihren Blick über die Holzmaserung des Bodens wandern, bis er unter dem Schreibtisch anlangte. Dort standen seine Stiefel. Leise erhob sie sich, nahm einen der Stiefel und ging zum
Schrank, wo sie ihn hinter einer Schachtel mit Sommersachen versteckte.
Keiner schien zu wissen, was er tun sollte, außer im Camp herumzulaufen auf der Suche nach etwas, das die tiefe und schreckliche Sorge, die die ersten Tage nach der Amputation prägte, bannen konnte. Kristina schien die Einzige mit einem Ziel zu sein - sie hatte sich in die Arbeit gestürzt und versuchte, Kortikosteroide herzustellen, die, wie sie glaubte, Toms Bein gerettet hätten, wenn sie ihm gleich verabreicht worden wären.
Janie zog es den Brustkorb zusammen, zuzusehen, wie Kristina sich anklagte, weil sie das nicht schon früher gemacht hatte. Sie versuchte alles, um die Last des Schmerzes und der Reue von der jungen Frau zu nehmen.
Er hätte sie gleich, nachdem er sich verletzt hatte, gebraucht, um die Entzündung zu verhindern. Quäl dich doch nicht! Wir waren so sehr daran gewöhnt, mit unseren Medikamenten Wunder wirken zu können; jetzt sind Wunder einfach viel seltener geworden.
»Ich bin ein Wunder, verdammt noch mal«, schrie Kristina. »Genau wie Alex!«
»Von einer anderen Art«, sagte Janie.
Bestimmt ist sie jetzt im Labor, dachte Janie. Das Labor war Kristinas Zufluchtsstätte.
Von Kristinas Nasenspitze fielen Tränen in die Petrischale, die sie auf den Arbeitstisch im Labor gestellt hatte. Sie schniefte und wischte ihre Nase an einem Taschentuch ab, dann legte
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